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Albanien


Albanien, Schnaps am ältesten See Europas


Das Gespräch mit Selajdin in dem kleinen Café in Giakova klingt noch nach und folgender Satz wirft (politische) Fragen in uns auf: "Keiner der ehemaligen Jugoslawienstaaten wird eine wahre Demokratie, so wie in Deutschland, erlangen. Zu sehr sind die Völker mit einander verstritten und verfeindet!" All die Sorgen und Aussagen eines älteren kosovarischen Herrn lassen wir nun  hinter uns, denn heute verlassen wir auch schon wieder den Kosovo.

Mit 260 km haben wir eine vergleichsweise kurze Etappe vor uns, die Wetterprognosen sind gar nicht so schlecht, so dass wir die Regensachen getrost im Gepäck lassen, denken wir.

Nur noch 20 km trennen uns von der Albanischen Grenze. Unser Ziel ist Pogradec am Ohridsee.

Albanien ist schon lange kein Geheimtipp mehr. Mittlerweile nennt man den kleinen Staat mit tollen Sandstränden an der Mittelmeerküste, Nationalparks, einer vielfältigen Kultur  und unberührter Natur auch Perle des Balkans. Bei Bikern, Rucksacktouristen und Campern steht es hoch im Kurs. Gastfreundlichkeit und günstige Preise locken jährlich immer mehr Touristen an.  Dabei war es doch noch bis 1990 das am meisten abgeschottete Land Europas. Bis 1985 regierte der Diktator Enver Hoxha mit eiserner Hand das kommunistische Land, überwarf sich sogar mit der Sowjetunion und trat aus dem Warschauer Pakt aus. Er ließ aus Angst vor einem westlichen Angriff an die 200.000 Bunker verstreut über das ganze Land bauen und die Bevölkerung verarmte zusehends. Nach dem Zusammenbruch 1990 verließen immer mehr Menschen aus Angst vor noch mehr Armut das Land. Aber all das ist längst Geschichte und Albanien ist ein aufstrebendes Land. Seit 2009 ist es Natomitglied und seit 2014 EU-Beitrittskandidat.

Schon länger haben wir den Wunsch, den Ohridsee auch auf Albanischer Seite kennen zu lernen! Vor 2 Jahren waren wir bereits auf der Nordmazedonischen Seite. Der Ohridsee ist einer der ältesten Seen der Erde und liegt fast 700 m über dem Meeresspiegel. In Pogradec, der größten Stadt am See auf albanischer Seite haben wir  wieder eine private Unterkunft gebucht.

Aber zunächst müssen wir  dort überhaupt hin kommen.

Die kleine Grenzübergangsstelle  in "the middle of nowhere" zwischen dem Kosovo und Albanien können wir sehr zügig passieren. Zunächst führt uns zu unserer Verwunderung eine gut ausgebaute Straße in lang gezogenen und seichten Kurven ganz entspannt die kleinen Berge auf und ab. Als wir mehr und mehr ins Land eintauchen, werden die Straßen immer kleiner, enger und schlaglöchriger. Zunächst bereitet uns das noch viel Spaß, aber mit fort schreitenden Kilometern und fort schreitender Zeit wird die ganze Angelegenheit immer anstrengender, bis wir es schließlich Tortur nennen. Zum Glück ist es wenigstens trocken. Wir schrauben uns Berge, die bis auf 1200m gehen in engen, kleinen unzähligen Haarnadelkurven auf und wieder ab, auf und wieder ab, immer enger, immer mehr Schlaglöcher, immer anstrengender! Wir kommen nur im Schneckentempo voran, unsere Höchstgeschwindigkeit liegt bei 40 Km/h. Glück haben wir aber mit dem Verkehr, kaum jemand ist unterwegs und streckenweise haben wir die Straße für uns. Entschädigt werden wir durch eine traumhafte Natur!  Die Trinkpausen nutzen wir, um auf Schluchten zu blicken, oder auch einmal einen der vielen, übrig gebliebenen Bunker Hoxhas zu begutachten. Alles ist grün und satt und an Felswänden kommen manchmal kleine Bächlein runter. Die paar Regentropfen, die ab und an aus einer Wolke fallen, tangieren uns überhaupt nicht, kein Grund, die Regenklamotten rauszuholen!

Um die Strecke ein wenig abzukürzen, überqueren  wir kurzfristig die Grenze zu Nordmazedonien. Gut 70 km fahren wir durch das Land mit der Sonne auf der Flagge, um danach gleich wieder nach Albanien einzureisen.

Abgekämpft, aber überglücklich erreichen wir Pogradec. Mittlerweile sind wir gut im Überlisten des Navis und finden wir doch gleich auf Anhieb unsere Unterkunft . Unsere private Pension hat den wohl klingenden  Namen Plaisir und beherbergt ca. 4 - 5 Ferienwohnungen, alle mit Blick auf den See und direkt an der Promenade.  Der Vermieter heißt uns herzlich willkommen und erklärt uns alles auf Englisch. Unser Gepäck schleppen wir keuchend in den 4. Stock. Belohnt werden wir dafür mit einem genial erhabenen Blick über den See, selbst vom Schlafplatz aus können wir direkt darauf blicken. Ein wirklich guter Platz und ein schöner Ort, um auszuspannen und zu relaxen, wir buchen also gleich eine Nacht mehr!

Wir sind heute viel zu k.o., um noch etwas auf die Beine zu stellen und steuern gleich das nächste Restaurant an. Prompt sitzt da unser Vermieter und stellt uns gleich den Besitzer des Restaurants, der ein wenig Deutsch spricht, vor. Dieser wiederum erzählt uns von seiner Destille, die er uns unbedingt gleich Morgen Früh zeigen will. Und ehe wir es uns versehen, haben wir Morgen Vormittag um 10.00  Uhr eine Verabredung zur Besichtigung. Uns ist das etwas unangenehm, wir fühlen uns überrumpelt und stellen uns sonst etwas vor!  Während wir essen, reden wir uns in Rage: "Nein, wir lassen uns aber keinen Schnaps für teures Geld aufschwatzen", oder " das wird doch wie eine Abzocke auf einem Teppichbasar!" oder "wo will der uns nur hinschleppen?", kommen uns über die Lippen. Wir suchen nach eine Ausrede, um nicht zu besagter Verabredung zu müssen, aber uns fällt nichts Passendens ein. Schließlich sind wir immer zuverlässig. Das können wir einfach nicht bringen, also müssen wir da einfach mal durch! Aus Höflichkeit, versteht sich! Ziemlich lustlos stehen wir also am nächsten Morgen am verabredeten Ort vor seinem Restaurant, in der Hoffnung, er - ach, wir kennen nicht einmal seinen Namen - kommt nicht pünktlich, um später sagen zu können: "Wir waren ja da!" Aber nein, auf die Minute genau ist er da und stellt sich höflich als Lorenz, genannt Leo  vor. Mit "Gem` ma" setzen wir uns zu Fuß in Bewegung.

2 Blocks weiter stehen wir vor einem Haus, das wie ein normales albanisches Wohnhaus aussieht. Hier soll also die "Brennerei" sein! Nein, von außen ist nichts zu erkennen oder deutet nicht in geringster Weise darauf hin. Leo öffnet ein schweres  Metallrolltor, was mit dicken Vorhängeschlössern gesichert war. Wir treten ein durch eine schmale Tür!. Es ist dunkel, Leo knipst das Licht an. Schon allein der Geruch ist umwerfend. Zehn Uhr morgens und ich bin schon allein vom Dunst angetütert! Alkohol liegt in der Luft! Wir stehen in einem Raum mit ca. 10 großen und kleinen typischen Holzfässern zum Lagern des wertvollen Gesöffs, dahinter riesengroße Plastikfässer zur Herstellung und für die Maische.  Ach ja, hergestellt wird "albanischer" Grappa also, Schnaps aus Trauben. Leo führt uns in einen zweiten Raum. Wir schauen uns um und können es kaum fassen. Vor unseren Augen tut sich eine wahre Schatzkammer auf. Ein schankraumähliches Zimmer, dessen Mitte ein alter Tisch bildet, auf dem diverse Gläser und Flaschen - anscheinend von der letzten Verköstigung - stehen. Drumherum unzählige, wirklich unzählige Bier- und Weinflaschen!  Ach ja, seinen eigenen Rotwein stellt er auch her! Auf manchen Flaschen befinden sich Jahresangaben: 2016, 2018 ...  Aber das ist noch nicht alles! Hier handelt es sich nicht nur um eine Schnapsbrennerei oder um eine Kelterei, nein, dieser Raum ist gleichzeitig ein Museum. Wahre Schätze verbergen sich hier, von alten Waffen über zerschossenen Kriegshelme der Wehrmacht, aus Österreich oder Italien, alte Türknäufe, Geschirr, Glocken für Pferdefuhrwerke bis hin zu alten Musikinstrumenten wie Posaune, Trompete oder Ziehharmonika. Ich entdecke auch alte Trachten und Gemälde hängen an den Wänden. Und, und, und ! "Trinken wir einen?" Leo reißt mich aus meinen Gedanken! "Jetzt? Um kurz nach zehn am Morgen?" Bevor wir nein sagen können, hat er schon zu 3 kleinen Schnapsgläsern gegriffen und füllt sie mit einer klaren Flüssigkeit. Mit einem Augenzwinkern sagt er: "Ihr müsst nicht!" So trinken wir aus wirklich freien Stücken um kurz nach Zehn in versteckten Räumlichkeiten von Pogradec "Albanischen klaren Grappa"!... Und?... Man muss kein Schnapskenner sein, um zu erkennen, dass es sich um einen wirklichen, klaren, bei uns sicher wertvollen Branntwein handelt. Er brennt überhaupt nicht in der Kehle und ich vertrage ihn sogar - an einem Vormittag - ohne umzukippen.  Mein lieber Mann und Leo bestimmen den Alkoholgehalt, während ich weitere Antiquitäten bestaune. 45 Prozent! Leo plaudert noch ein wenig aus seinem Leben. Er hat einen zehnjährigen Sohn, hat in Deutschland für einer Gipsplattenfirma - daher seine Deutschkenntnisse - und in einem Griechischen Restaurant gearbeitet, hat einen Bruder, der in den USA lebt und seit 9 Jahren betreibt er besagtes Restaurant in Pogradec. Dann wird es Zeit, wieder ans Tageslicht zu treten und Leos Museumsdestille zu verlassen. Das Rolltor wird wieder runtergelassen und fest verschlossen. Wir zwinkern und müssen uns erst wieder an das Tageslicht gewöhnen.

Etwas peinlich berührt und beschämt, dass wir so skeptisch waren, verabschieden wir uns von Leo. Wir sollen aber heute Abend zum Essen in sein Restaurant kommen, da hat er frischen Fisch aus dem Ohridsee, den er selbst zubereiten wird! "Fleisch könnt ihr überall essen, aber Fisch aus dem Ohridsee nur hier, und den besten bei mir!"

Das klingt gut! Unser sonst so deftiger Speiseplan könnte ja wirklich mal etwas Abwechselung und etwas Leichtes und Gesundes vertragen.

Den Rest des Tages verbringen wir mit Schlendern - haha ohne zu torkeln - an der Uferpromenade, die Dreh- und Angelpunkt des Ortes ist. Ältere Herren sitzen in Parks oder in Cafés in Gruppen zusammen, spielen Schach oder andere Brettspiele Jetzt in der Vorsaison ist noch nicht so viel los. Zwischen albanischen Familien mischen sich trotzdem einige Touristen. Wir hören Deutsch und Französisch, auch Fahrräder, dick bepackt, passieren, sowie junge Leute mit Rucksäcken. Wahrscheinlich gibt es einen Fahrrad- und Wandertrail entlang des Sees. Die Promenade ist sehr sauber (ungewöhnlich für den Balkan). Es gibt sogar einen Sandstrand. Wir sehen aber niemanden im Wasser. Auch uns ist es zum Baden zu kalt.  Zwischendurch gibt es mal einen kräftigen Guss, aber danach scheint wieder die Sonne und wir laufen in T-Shirt und kurzer Hose, haben nun hoffentlich mit diesem Guss das schlechte Wetter endgültig hinter uns gelassen!

Der zentrale Platz ist von wunderbaren, großflächig angelegten  Rosenrabatten und anderen Blumenbeeten gesäumt, die in den verschiedensten Farben blühen und um die Wette duften. Ein Traum in bunt!

Als wir uns am frühen Abend in Leo`s Restaurant einfinden, sind wir vorerst  die einzigen Gäste, es ist ja noch früh und im Laufe des Abends füllt sich der kleine Außenbereich und bald ist kein Tisch mehr frei. Wir essen das, was Leo uns empfiehlt. Als Vorspeise gibt es gegrillte Paprika mit einem Hauch (haha!) von Knoblauch und Schafskäse aus dem Ofen. Schon das alleine hätte nicht leckerer sein können! Der Fisch dann ist der Knaller!  Einfach nur vom Grill schmeckt er dermaßen gut, und obwohl wir weder Fischkenner noch Liebhaber sind, war das definitiv der schmackhafteste Fisch, den wir jemals gegessen haben! Festes, nicht zu trockenes Fleisch und wenig Gräten. Ein absolut kulinarisches Highlight, nicht nur dieser Reise!

Bei der Recherche um den leckeren Fisch aus dem Ohridsee, bleibt mir dann fast eine Gräte im Halse stecken! Das Fischen der Ohridforelle (die ausschließlich im Ohridsee vorkommt) ist zwar in Albanien noch erlaubt, während sie bereits seit Langem auf der roten Liste der IUCN (Weltnaturschutzunion) steht, während es  in Nordmazedonien bereits strengstens  verboten ist. Laut einem Bericht der ARD führt dieses stets zu Konflikten beider Staaten, denn die Grenze verläuft genau durch den See.

Nun ist die Forelle bereits längst verdaut, bereitet uns aber doch im Nachhinein ein wenig schlechtes Gewissen. 

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Kommentare: 6
  • #1

    Heidrun (Samstag, 17 Juni 2023 05:50)

    Kein allzu schlechtes Gewissen haben…ihr wusstet es nicht besser und letztendlich gehört es auch zur Kultur.
    Ich liebe Forelle in jeglicher Form….
    Schon um fünf Uhr morgens ist mir das Wasser im Munde zusammen gelaufen und danach einen selbstgebrannten, leckeren Grappa
    :-)

  • #2

    Sabine und Rüdiger (Samstag, 17 Juni 2023 12:39)

    Das klingt alles wieder aufregend und auch irgendwie Mut machend, andere Länder und Menschen kennenzulernen!!!
    Weiterhin gute Fahrt!!!

  • #3

    Diana (Samstag, 17 Juni 2023 18:29)

    Liebe Sabine…danke für die tollen bisherigen Berichte! Auch dieses Mal hat man beim Lesen immer das Gefühl in euren Packtaschen zu sitzen und live dabei zu sein.
    Leider mache ich immer wieder den Fehler, hungrig auf die leckeren Gerichte auf den Fotos zu schauen.
    Ich wünsche euch weiterhin eine tolle Reise und freue mich auf mehr KI-freien Input. Liebe Grüße natürlich an Bert, den genialen Finder von Ohrsteckern!
    LG, Diana

  • #4

    Maik und Elke (Sonntag, 18 Juni 2023 08:59)

    Hallo Sabine und Bert, wieder ein toller Bericht und wir haben viel Freude es zu lesen. Albanien ist nächstes Jahr bei uns dran. So ein gastfreundliches Land muss man mal besuchen. Weitere spannende Etappen wünschen euch Maik und Elke

  • #5

    Marlis Shafi (Dienstag, 20 Juni 2023 14:10)

    Klingt super spannend … weiterhin gute Fahrt �����

  • #6

    Christian Hammann (Dienstag, 20 Juni 2023 19:39)

    Man ist einfach dabei und fühlt mit euch...Gute Fahrt Chrischaaan