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Bulgarien, eine schmerzvolle Ankunft



Den Türkischen roten Banner mit dem weißen Halbmond und dem weißen fünfzackigen Stern, den Symbolen des Islam lassen wir nun mit zwiegespalten Gedanken hinter uns. Was waren das doch für 2 Wochen! 2 Wochen, die es in sich hatten, vom Fernsehauftritt bis Pauls Aussetzer und das Bangen, ob wir es bis in die EU schaffen! 

Nachdem wir unsere "angebliche" Parksünde aus Mardin bezahlt haben, öffnet sich uns endlich der Schlagbaum Richtung Griechenland in die für uns sichere EU. 

Paul läuft und das ist das Wichtigste! Er hat es bis hierher geschafft, ganze 2000 Kilometer ohne Aussetzer! Die letzten 2000 Kilometer wird er wohl nun auch noch schaffen!

Hellas empfängt uns blau/weiß mit genau dem blauen Himmel und den gleichen 35 Grad wie die Türkei uns entlassen hat. Genau wie auf türkischer Seite schleichen wir uns an den in der stechenden Sonne wartenden PKWs vorbei bis weit nach vorn und retten uns in den Schatten der kleinen Grenzkontrollstelle Kastanies. Nachdem sich auch hier der Schlagbaum für uns geöffnet hat, fühlt es sich tatsächlich ein wenig wie "Nachhausekommen" an. Unverändert steht die kleine Tankstelle direkt neben dem Grenzposten da. Wahrscheinlich verändert, aber unverändert teuer ist der Spritpreis in Griechenland. Wir ziehen am gleichen Geldautomaten ein paar Euro und nehmen aus der gleichen Eistruhe, die am Eingang steht, ein Eis und bezahlen bei der gleichen Frau wie vor 2 Jahren und machen die gleichen Selfies mit dem gleichen Hintergrund.

Unser erstes "Step In" in die EU vor dem gleichen Hintergrund ist wieder ein ganz besonderes Ereignis, das wir mit unserem Eis in der Hand zelebrieren.

Wir fahren im Schritttempo durch den kleinen Grenzort, als könnten wir es nicht fassen, zurück zu sein. Dabei sind wir immer noch weit über 2000 Kilometer von Zuhause entfernt! Wir fahren auf der gleichen Plattenstraße Richtung Bulgarien. 20 Kilometer Griechenland, nichts Neues, alles fühlt sich an wie vor 2 Jahren. Wir nähern uns dem Übergang  Ormenio (GR)/Svilengrad (BG) zwischen den beiden EU Staaten und diese beiden Schengenstaaten haben - so wie es sein soll - auch keine aktiven Grenzkontrollen mehr. Es gibt kein Personal und die alten Grenzhäuschen sind verwaist. Aber Absperrungen gibt es, man kann gar nicht anders fahren als auf dieser einen Spur. Bulgarien ist in greifbarer Nähe. Es ist wenig los und wir können zügig fahren. Wir müssen da aber noch durch eine Art Tunnel in dem sich so ein Desinfektionssprühgerät befindet - falls ihr wisst, was ich meine - . War das vor 2 Jahren auch schon da? Wir erinnern uns nicht!  Es sieht so aus und fühlt sich an, als wäre man in einer Autowaschanlage. Es ist dunkel in dieser Durchfahrwaschanlage, es sprüht von beiden Seiten, die Sicht ist durch den feuchten Nebel sehr eingeschränkt. Nur aus den Düsen kommt kein Autoreiniger sondern Desinfektionsmittel. Noch finde ich das Ganze recht witzig, reiße wie mein Mann die Beine hoch, als wir durch eine tiefe Pfütze fahren, als Bert plötzlich ruft:  "Achtung!" und weicht gerade noch aus. Aber für mich ist es zu spät! Ich merke nur noch wie mein Vorderreifen in eine Art tiefe Furche oder Rille, die vorne zu ist, gerät und verkante. ... ZACK!!!... und ich liege um! So schnell geht das, von einer Sekunde zur anderen! Ich weiß gar nicht, wie mir geschieht. Ich knalle auf die Seite und komme auf harten Beton zum Liegen. Alles ist nass und dreckig. Während ich schnell aufspringen kann, liegt die Paula wie ein havariertes Schiff auf der Seite. Ich taste mich ab, alles noch dran und ich bin klar im Kopf. Mittlerweile ist Bert herbei geeilt und schimpft mit mir: "Ich hab doch noch gerufen!" aber bevor mir die Tränen kullern, nimmt er mich in den Arm! "Alles okay?" "Ja, alles okay!"

Und Paula? Ich schaue zur Seite. Als wenn sie mir sagen will:  "Ja, alles okay, wenn ihr mich aber endlich aufhebt und mich aus dieser blöden Rille zieht!"

Da es nur eine Fahrspur gibt, entsteht ein kleiner PKW Stau hinter uns. Ich schaue mich um und bin zunächst fassungslos, denn niemand von den wartenden PKWs steigt aus oder ist überhaupt willig, zu helfen! Dann verstehe ich: man müsste durch die Sprinkleranlage laufen und riskieren, nass zu werden! Aber ist das ein Grund?...... vielen Dank an diese Zuschauer! Wir schaffen das auch alleine! Wir zerren und ziehen, ziehen und zerren, Zentimeter vor und zurück bis wir die Paula endlich aus ihrer Misere erlöst haben und schieben sie wieder ins Licht, wo auch Paul wartet. Die Schlange hinter uns löst sich langsam auf und alle fahren - uns anstarrend - vorbei. Ein Einziger, nur  einer von ca. 5 - 6 PKWs kurbelt die Scheibe runter und fragt nach unserem Befinden.

Dreckig und besudelt stehe ich da. Am liebsten würde ich jetzt das Loch suchen und abtauchen, so peinlich ist mir das gerade. Aber da gibt es doch so einen Spruch! Genau! Den hat mir die liebe Angelika schon bei meinem Umfaller in Gudauri geschrieben: "Aufstehen, Krone richten und weiter machen!"  Danke, denn der fällt mir in genau in diesem Augenblick ein. Und ich mache das jetzt auch. Ich richte meine Krone! Die Krone und ich, beschmaddert mit schmierigem Schmutz und vermischt mit Desinfektionsmittel! Haha!

Aber natürlich frage ich mich trotzdem: Ein Fahrfehler? Trifft mich irgend eine Schuld? Schuld?...  Die Schuld könnte man eher dem Bulgarischen Verkehrsministerium geben! Bei uns wäre so etwas doch absolut unmöglich! Keine Warnung für Zweiräder vor einer tiefen Rinne/Furche, kein Flatter- oder Absperrband, keine reflektierende Pfeile am Boden oder sonst irgend eine Warnung! NICHTS! Nichts, was vor dieser gefährlich tiefen Rinne im Dunkel, hinter dem Sprühgerät mit eingeschränkter Sicht warnt!  Eine Falle, aus der man nicht rauskommt, sitzt man einmal drin! Mein Mann hat es in letzter Sekunde gesehen und konnte ausweichen, ich hingegen bin voll hinein getappt und habe Mal wieder Glück gehabt, großes Glück und einen ganz besonderen Schutzenge! Paula ist mir mittlerweile - wie meine alte Sally - ans Herz gewachsen!

Ich habe noch nie von so etwas gehört, aber ich kann mir vorstellen, dass ich nicht das erste Motorrad war, dem das passiert ist!?

Während ich einen kleinen, aber feinen Bluterguss an der Hüfte und eine leichte Prellung am Oberarmmuskel davontrage (das werde ich erst heute Abend merken), hat  Paula außer einen kleinen Schrapps am Sturzbügel nichts! Absolut nichts! Auch sie hat bereits ihre Krone gerichtet!

 

Bis zu unserem Ziel in Ljubimez sind es nur noch wenige Kilometer und mein Herz schlägt bis dahin immer noch hoch bis unter meine Schädeldecke. Es dauert noch einen Augenblick oder mehrere Augenblicke bis ich diesen Schock überwunden habe.

 

In dem kleinen knapp 7000 Einwohner zählenden Städtchen haben wir  - endlich mal wieder - ein Appartement mieten können. Es ist klein aber sauber und modern eingerichtet und - wie auf dem Balkan fast überall üblich - mit einer geräumigen Gemeinschaftsküche.  Unserem besonderen und persönlichen Frühstückserlebnis morgen steht also nichts im Wege. Auch hat es zu meiner ganz besonderen Freude eine Waschmaschine und ich kann endlich mal große Wäsche machen!

Laut Google soll es hier auch mehrere Lokale geben und die Vorfreude auf einen Schopskasalat und einem leckeren Mahl ist groß. So begeben wir uns auf die Suche! Lokal eins: Geschlossen, Lokal Zwei: geschlossen, Lokal drei: geschlossen! Wir latschen uns die Füße platt, der Magen hängt schon auf halb acht und als wir schon aufgeben wollen, um uns im hiesigen kleinen Supermarkt selbst zu versorgen, werden wir doch noch fündig. Wir bekommen nicht nur den geliebten Schopska sondern auch anderes Leckeres und ein lokales, kaltes Bier! 

Meine Hüfte schmerzt und mein Oberarm auch. Heute Nacht werde ich nicht auf dieser Seite liegen können! Schlafen kann ich aber trotzdem gut. Ich träume von Schutzengeln und davon, dass ich/wir stets großes Glück habe/n!

Am Morgen erfreut mich mein lieber Mann mit einem Spiegeleifrühstück!  Ach, was sind doch die kleinen Dinge im Leben die ganz Besonderen!

Unsere nächste Etappe führt uns quer durch das Balkangebirge. Die Landschaft ist einmalig, es ist wenig Verkehr und seit langem kann man eine Strecke mal wieder so richtig genießen. Die Sonne scheint aber so richtig heiß ist es nicht mehr, einfach perfekt! Die Regionalstraße 55 schlängelt sich in vielen Kurven Richtung Norden, auch die ein oder andere Haarnadelkurve ist dabei. Diese Regionalstraße mündet in die E85 und wir  passieren Weliko Tornowo. Die kleine Stadt liegt wunderschön in einem Tal an den Steilhängen des Gebirges.

 

In Plewen, mit 90.000 Einwohnern die siebtgrößte Stadt des Landes, kehren wir für eine Nacht ein. Es ist schon spät, wir sind müde und beschließen, nichts mehr zu unternehmen. Das angemietete Appartement ist wohnlich eingerichtet und hat alles, was man zum Wohlfühlen brauchen. 

Ausgeschlafen und ausgeruht fahren wir am nächsten Morgen zunächst Richtung Westen. Die Bulgarischen Straßen haben es in sich und sind tückisch. Denkt man, man kann mal richtig Gas geben, muss man im nächsten Augenblick wieder runter schalten und abbremsen.  Tiefe Schlaglöcher und Dellen, teilweise aufgerissener Asphalt und tiefe Gullideckel lassen uns stets Slalom fahren. Immer schön wachsam sein, vom Ereignis mit der tiefen Rinne bin ich noch immer schwer traumatisiert!

 

Möchte man hier leben? Viele Dörfer und Kleinstädte machen einen verfallenen Eindruck, wirken verwaist und sind trostlos. Zwischen runter gekommenen Plattenbauten sieht man verlassene und verfallene Einfamilienhäuser. Traurig! Bulgarien hat ca 1/4 der Bevölkerung, die es noch im Jahr 1985 hatte, verloren.  Zum einen liegt es am demografischen Wandel zum anderen aber ist eine Vielzahl der Einwohner seit dem EU Beitritt ausgewandert. Fehlende Perspektiven  und Aussichten für junge Menschen mögen einige der Gründe hierfür sein. Aber ein leichter Rückwärtstrend ist auch zu beobachten. Einige, die ihr Glück im "Westen" gesucht haben, haben Heimweh, Träume und der wirtschaftliche Aufschwung ist für Viele ausgeblieben. An einer Tankstelle kommen wir mit einem "Rückkehrer" ins Gespräch. 9 Jahre hat er in Bayern gelebt. Die Mieten seien aber dort so hoch, dass er mit Frau und Kind in einer kleinen 2 Zimmerwohnung leben musste. Hier in Bulgarien verdient er zwar viel weniger, aber die Lebendhaltungskosten seien viel geringer, dass es sich unterm Strich in seiner Heimat besser leben lässt! Ob diese Meinung auch andere teilen, wissen wir natürlich nicht und daher sind sie natürlich nicht repräsentativ.

In Widin fahren wir diesmal nicht über die Donaubrücke rüber nach Rumänien sondern noch ca. 25 Kilometer weiter Richtung Serbien.

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Kommentare: 1
  • #1

    Chrissy (Sonntag, 21 September 2025 19:49)

    Aua,dass tat mir selbst beim lesen weh.Gott sei Dank ist nichts schlimmeres passiert. Kommt gut nach Hause ihr Beiden.Ich freu mich schon���‍♀️