Ursprünglich wollten wir von Mersin aus am Mittelmeer weiter Richtung Antalya fahren und dann weiter um Izmir herum um nach Çanakkale an den Dardanellen, jene Meerenge, die Europa mit Kleinasien verbindet, zu gelangen. Gestern Abend haben wir ausgiebig darüber gesprochen, ob das sinnvoll ist? Wir würden somit einen größeren Umweg in Kauf zu nehmen. Der Besuch bei Kamil, das Problem mit Paul und die kurzen Etappen der letzten Tage haben uns einfach nicht eingeplante Zeit gekostet. Wir sind zwar nicht an einen straffen Zeitplan gebunden, wollen aber doch ab jetzt zügig voran kommen und ohne Umschweife in die EU gelangen. Sollte das Problem mit Paul wieder auftauchen, wäre Vieles einfacher. Çanakkale soll aber weiterhin unser letztes Übernachtungsziel in der Türkei sein. Also verzichten wir auf Betonburgen und Massentourismusziele am Mittelmeer und biegen kurz hinter Mersin Richtung Nordwesten ab und werden mit einer wunderschönen Nebenstrecke belohnt. Ach, was haben wir das vermisst! Kein dichter Verkehr, kein Gewusel, kein Gehupe und wildes Überholen. Alle paar Kilometer begegnet uns ein Auto oder wir überholen eins. Auch Zentralanatolien ist weit, soooo weit! Die Landschaft ist einfach einmalig und grandios! Wir kraxeln in lang gezogenen Kurven auf 2066 m Höhe und was vorhin noch so hektisch war, wirkt nun wieder ruhig und entspannt. Als wir die Motoren bei einem kurzen Stopp abstellen, ist es still, vollkommen still, kein einziges Zivilisationsgeräusch ist zu hören. Nur ein Bienchen summt vorbei. Auf dem ockerfarbenen Boden wachsen wenige Nadelbäume und als wir weiterfahren, kreisen ein paar Greifvögel über uns. Auf der Hochebene ist es trotzdem ziemlich warm und mäßig windig. Wir können uns gar nicht satt sehen. Nur ein paar kleine Dörfer bzw Häuseransammlungen tauchen aus dem Nichts auf. Irgendwo in der Ferne kann man die ein oder andere Kuhherde oder die ein oder andere Schafherde ausmachen. Viel zu schnell geht diese Strecke zu Ende und wir kommen wieder auf eine 4 -spurige Hauptstraße. Hinter Karaman erreichen wir unser nächstes Hotel am Rande der 2 Millionen Stadt Konya, eine Übernachtungsstätte von Vielen. Schon damals - vor 4 Jahren - hatten wir in dieser Stadt am anderen Ende einen Übernachtungsstopp, an den ich wenig erinnerung habe.
Auf der Suche nach einem Restaurant fällt unsere Wahl auf einen kleinen Imbiss und wir nehmen auf den Plastikstühlen im Außenbereich Platz. Gemütlichkeit und ein passendes Ambiente beim Essen, so wie wir sie kennen, kennt man in der Türkei eher selten. Neonlicht, kalte Atmosphäre und Plastik prägen das Bild von den meisten Lokalen. Anstatt von Gläsern bekommt man Plastikflaschen oder Softdrinkdosen mit den bei uns längst verbotenen Plastikstrohhalmen. Voll überflüssig sind auch die kleinen 250 ml Plastikwasserbecher, die in Massen überall serviert werden. Besteck, bestehend aus Löffel und Gabel (selten Messer) ist auch oft aus Plastik und/oder in Plastik eingeschweißt. Dafür kann man sich oft direkt Spieße aus Lamm oder Hühnchenfleisch oder andere Köstlichkeiten aussuchen, die in einer Vitrine präsentiert werden und die dann direkt frisch über dem Grill zubereitet werden und das ist meistens äußerst köstlich. Auch kleine Vorspeisen kann sich zusammenstellen. Salat, reichlich Fladenbrot und für Leute, die es gerne feurig mögen, die megascharfe Chillipaste, gibt es immer gratis dazu.
Wir sitzen also in einem Imbiss unweit unseres Hotels und lassen es uns schmecken.
Der eindringliche monotone Gesang des Muezzins ruft die Gläubigen zum Gebet. Hier in unmittelbarerer Nähe einer großen Moschee fallen uns fast die Ohren ab und das Besteck aus der Hand. Ihn, den Muezzin, der uns auch häufig Punkt 5.30 Uhr aus dem Schlaf holt, werden wir auf keinen Fall vermissen.
Unsere Route führt uns weiter Richtung Nordwesten, die Strecke ist gut ausgebaut, trotzdem aber nicht langweilig. Unser nächster Übernachtungsort ist endlich mal nicht so eine Megacity sondern die nur ca. 70.000 Einwohner zählende Kleinstadt Tavşanlı, ca. 170 Kilometer Luftlinie südlich von Istanbul. Das will natürlich nicht heißen, dass es hier nicht auch wuselig zugeht! Unser kleines Hotel müssen wir nicht lange suchen und wie üblich wartet auch hier ein Standartzimmer auf uns. Die Wege sind kurz und die kleine Innenstadt ist voller Leben. Die meisten Menschen - egal ob jung oder alt - fahren Roller oder Mofa. Die Meisten haben zwar einen Helm bei sich, tragen ihn aber nicht. Entweder baumelt er locker am Lenkrad, am Handgelenk oder ist Gepäckträger fest gemacht. gerne wird er aber auch ganz legère am Hinterkopf, sozusagen als Toupet, getragen. Oft passt auch eine Großfamilie auf so ein Mofa, das in den seltensten Fällen verkehrssicher ist: Vater, Mutter und zwei bis drei Kinder!
Wir als Fußgänger haben immer schlechte Karten und beim Straße überqueren bahnen wir uns einfach unseren Weg durch all die motorisierten Zwei - und Vierräder. Wir kehren in ein "In-Lokal" ein, in dem sich vorwiegend die Jugend trifft, man trinkt hier Latte Macchiato, Limo oder alkoholfreie Cocktails und isst Pommes und Burger. Auch wir machen mal einen kleinen Abstecher in die Fastfoodküche und tun es den jungen Menschen gleich

Am nächsten Morgen erwartet uns eine lange Etappe bis zu unserem Hotel in der Nähe der historischen Ausgrabungsstätte von Troja. Wir wissen, was uns erwartet, denn hier sind wir bereits vor 4 Jahren schon einmal eingekehrt.
Schon gestern haben wir bemerkt, dass unsere Intercom Anlage nicht mehr funktioniert. Mein Mann hat den ganzen Abend getüftelt, auseinandergebaut und wieder zusammengesteckt. Aber nein, sie will einfach gar nicht mehr funktionieren und hat ganz offensichtlich ihren Geist aufgegeben. Wir haben eine Alte als Ersatz dabei, aber die will auch nicht so richtig. Irgendwo scheint ein großer Wackelkontakt zu sein und sie funktioniert nur einseitig! Was soll`s! Ich verstehe meinen Mann, er mich aber nicht! So wie das im richtigen Leben auch manchmal so ist!...
Außerdem ist es auch gar nicht so schlecht, wenn man mal am Tag nicht ständig miteinander reden kann! Wenn wir die Navigation abstimmen wollen, fahren wir einfach einmal mehr rechts an oder geben Handzeichen, so wie früher!
Wir fahren auf der D230 immer Richtung Westen. Paul und Paula laufen. Das ist das Wichtigste! Es ist mit paarunddreißig Grad immer noch sehr heiß und kein einziges Wölkchen ist zu sehen, nur knatschblauer Himmel über uns! Irgendwann stoßen wir wieder auf das Mittelmeer. Zu sehen bekommen wir es nicht, große Häuserfronten versperren den Blick und es wird gebaut und immer mehr gebaut! Wir biegen wieder ab Richtung Norden. Unser Hotel liegt in Güzelyali, einem kleinen Küstenort ca. 15 Kilometer von Çanakkale entfernt in der Türkischen Marmararegion. Die Türkei wurde dieses Jahr ganz besonders von großflächigen Waldbränden in den verschiedensten Regionen heim gesucht. Auch hier scheinen die Brände stark gewütet zu haben. Es bietet sich trauriger Anblick rechts Straße: verbrannte Erde und verkohlte Bäume soweit wir blicken können!
Unser Troja Tusan Hotel aber thront auf einer Anhöhe, genauso wie wir es vor 4 Jahren verlassen haben. Unser Zimmer hat - genauso wie in unserer Erinnerung haften geblieben ist - einen grandiosen Blick über die Dardanellen. Von unserem Zimmer können wir sogar die Frachter und Fähren sehen, die in die Meerenge einlaufen. Das Hotel hat einen Pool und ein paar Stufen abwärts einen kleinen Strandabschnitt. Nicht, das wir Sonnenanbeter wären, aber ein Bad im kühlen Mittelmeer ist echt erfrischend. Unsere Körper und Badesachen trocknen auf einer Liege und ein kleines Nickerchen, während die Schiffe am Horizont der Dardanellen vorbeiziehen, tut einfach gut! Einen wunderschönen Bilderbuch - Sonnenuntergang gibt es gratis dazu. Wir lassen unsere Seele einen weiteren Tag baumeln.
Bei dem Blick von der Restaurantterrasse und einem guten Essen, wollen wir unser Abenteuer Türkei abschließen. Die Kellner und auch das überteuerte Hotelessen, vermiesen uns nur ein wenig den Abschied. Vielleicht ist es dem Personal am Ende der Saison überdrüssig, die türkische Gastfreundlichkeit wider zu geben. Es ist nichts los und neben einem belegten weiteren Tisch, sind alle anderen frei. Zwei Kellner stehen sich lieber die Beine in den Bauch. Sie würden uns wahrscheinlich lieber ignorieren, denn wir könnten sie beim rauchen stören. Nach vehementem Gestikulieren schlürft aber dann doch einer an unseren Tisch. Mit einem Mixed Grill kann man nichts verkehrt machen, so denken wir, bestellen noch eine Portion Pommes extra dazu, da solche Beilagen meistens nicht dabei sind, Wir wollen uns noch einmal beim Kellner vergewissern und wiederholen unsere Bestellung. Er gibt entweder nicht zu, dass er kein Englisch kann oder er hat tatsächlich einfach keine Lust zum Antworten. Mit einem knappen Nicken schlürft er wieder von dannen und nach einer geschlagenen Stunde - anscheinend hatte die Küche auch keine Lust mehr - bekommen wir unseren Mixed Grill. Beim Anblick ziehen wir lange Gesichter. Die Teller sind zwar voll, aber voll mit jeweils einer riesen Portion trockenem Reis, einer Menge Pommes und einem mit etwas Gemüse gefülltem boulettenartigen Stück Fleisch. Dazu gibt es noch unsere Portion Pommes extra. Also, Beilagen satt! Was den Mixed Grill ausmacht, ist wohl die halbe Grilltomate und die verkohlte Chillischote (leider vergessen habe ich, das ganze Ensemble zu fotografieren)! Ich beruhige meinen lieben Mann, der sich schon beschweren will. Eigentlich hat er Recht, aber will man sich mit demotivierten Kellnern, die einen sowieso nicht verstehen oder verstehen wollen rum schlagen und die Laune verderben lassen? Also, nehmen wir es mit Humor und genießen den Ausblick auf die Dardanellen!
Den einzigen Ausrutscher der türkischen Küche und die Unfreundlichkeit verzeihen wir dem Personal ganz großzügig!!

Der kleine Fauxpas im Hotelrestaurant ist längst vergessen, aber als wir beim letzten Türkischen Frühstück sitzen, kommt er wieder hoch, denn das Morgenpersonal ist genauso gelaunt wie das Abendpersonal. Da hilft auch mein übliches Lächeln, das sonst immer - auch beim Hartnäckigsten - auf Widerhall trifft, nicht!
Aber der Anblick der Kaffeemaschine (die Erste seit ewigen Zeiten!) erwärmt doch wieder unsere Herzen und wir können uns unsere gute Morgenlaune frisch aufbrühen!
Das große Frühstücksbuffet, bietet das Übliche eines Türkischen Frühstücks: Oliven, Suppe, Pommes und allerhand andere deftige Sachen. Hungern müssen wir auch hier nicht, denn auch für unseren Geschmack sind etwas (Süßes) und gekochte Eier dabei.
Mit etwas Wehmut blicken wir nicht nur ein letztes Mal auf die Meerenge der Dardanellen sondern auch zurück auf die vergangenen 2 Wochen!
Nun liegen nur noch die letzten 260 Kilometer Türkei vor uns, noch 260 Kilometer bis an die EU- Außengrenze, noch 260 Kilometer bis nach Griechenland und noch 300 Kilometer bis nach Ljubimez zu unserem Bulgarischen Übernachtungsort!
Çanakkale umfahren wir großräumig auf der Umgehungsstraße Richtung neuer Darnellenbrücke, die erst im Jahr 2022 eröffnet wurde und über die ich bereits berichtet hatte, als wir erstmals in entgegen gesetzter Richtung im Jahr 2023 darüber gefahren sind. Die 1915 - Çanakkale - Brücke (so heißt sie offiziell) ist schon von Weitem sehr imposant, ist sie doch die längste Hängebrücke der Welt und bereitet uns sein irres Gefühl, als wir erneut rüber fahren, anstatt mit der Fähre überzusetzen.
Bis dahin und noch weiter rüttelt uns ein heftiger Wind durcheinander und zerrt an uns. Paul und Paula geraten richtig in Schieflage und es ist vorprogrammiert, dass wir heute Abend Nackenverspannungen haben werden!
An einer großen Tankstelle bei einer Verschnaufpause lernen wir Faruk kennen. Er ist mit seiner großen
Yamaha Ténéré von Çanakkale, wo er wohnt und Besitzer eines Optikgeschäfts ist, nach Edirne unterwegs. Er ist leidenschaftlicher Biker durch und durch und ist sooft er kann unterwegs, erzählt er uns beim Cay. Seine Frau, die, wie er mit einem Lächeln sagt, seine Leidenschaft nicht teilt, seine beiden Töchter, Schwager und Schwägerin begleiten ihn heute mit dem Auto. Wir sind uns gleich - wie kann es anders sein! - sympathisch und tauschen WhatsApp - und Facebookaccount aus.
Später lese ich seinen folgenden Post, den ich gerne hier veröffentliche, denn seine Worte bringen es auf den Punkt:
" Motorräder bringen Herzen näher zusammen, nicht nur Meilen. Wenn man jemanden zum ersten Mal auf der Straße begrüßt, fühlt es sich an, als würde man ihn seit Jahren kennen. Diese Leidenschaft macht uns Teil einer großen Familie. Genau wie die Distanz sie nahe macht, werden selbst die Menschen, die sich zum ersten Mal treffen, Brüder.
Den Wind auf zwei Rädern zu spüren, heißt Freiheit zu fahren. Aber der wahre Reichtum sind die netten Menschen, die man unterwegs trifft. Es spielt keine Rolle, wer du im Helm bist; wir sind alle Menschen mit derselben Leidenschaft. Deshalb sind Motorräder die schönste Bruderschaftsbrücke.
Unterwegs haben wir Sabine Falke und ihren lieben Mann Bert Falke getroffen. Sie sind seit 6 Wochen unterwegs. Unsere Aufkleber sind auf unseren Gedenkseiten. Ich bin sicher, diese Straßen werden uns wieder kreuzen... Sabine Falke Bert Falke " (mit Google übersetzt)
Danke Faruk für diese Worte!

Wir fahren noch ein wenig hintereinander bis Faruk Gas gibt und am Horizont der langen Straße verschwindet.
Hinter Edirne fahren wir weiter zu dem kleinen Grenzübergang Pazarkule/Kastanies (Griechenland). es gibt noch 2 große Übergangsstellen, einen Weiteren nach Griechenland und einen nach Bulgarien, denn wir befinden uns im Länderdreieck Türkei, Griechenland, Bulgarien. Über diesen Kleinen sind wir bereits schon ein paar Mal gefahren und heute, in der Hoffnung, dass an einem Sonntag hier weniger los ist, als an den Großen. Aber nein, viele Wochenendausflügler, wechseln auch hier im kleinen Grenzverkehr die Seiten. Wir können uns wieder an den PKWs vorbeimogeln (LKWs sind hier nicht erlaubt), die uns großzügig Platz machen, haben sie vielleicht Mitleid mit uns, denn das Thermometer zeigt erneut 35 Grad an und Schatten gibt es nur an den Grenzhäuschen. Auf Türkischer Seite wirft man uns ein Vergehen vor (das hatten wir vor 2 Jahren schon einmal an der Grenze zu Georgien, wo wir für irgendeinen Verkehrsverstoß eine Strafe zahlen mussten). Diesmal erfahren wir, was man uns vor wirft. In Mardin hätten wir falsch geparkt und das kostet je Motorrad umgerechnet 15 Euro. Haha, falsches Parken! Überall im Land wird irgendwie, kreuz und quer, ob in zweiter oder dritter Reihe geparkt! Als wenn das überhaupt jemanden interessieren würde! Wir erinnern uns, dass wir in Mardin direkt vor dem Hotel, wie alle anderen parkenden PKWs auf der gesamten Länge der Straße 2 Tage auf dem Seitenstreifen standen! Wir bezweifeln, dass auch sie irgendeine Geldbuße entrichten mussten! Aber hier macht es ebenfalls keinen Sinn, irgendeine Diskussion anzufangen, schon gar nicht mit einer Grenzbeamtin! Schließlich wollen wir ausreisen und mein lieber Mann zückt bereitwillig seine EC-Karte mit einem Schmunzeln.
Wie immer wird auch dieser Besuch in der Türkei lange bei uns nachhallen und uns so manches Mal zum Nachdenken anregen!
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