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Südostanatolien, viel Staub und 1001 Nacht



In der Rubrik "Aktuelles" vom Auswärtigen Amt heißt es u.a.: " Von nicht notwendigen Reisen in das Grenzgebiet der Türkei zu Irak und zu Syrien in den Provinzen Mardin, Şanlıurfa... wird abgeraten"

Wir hören immer wieder Stimmen: "Ach, das Auswärtige Amt übertreibt doch! Was die sagen stimmt ja alles nicht! Es ist alles sicher!". Wir sehen YouTuber, die in die entlegensten Gebiete der Welt reisen und werben: "Alles easy, alles sicher!", selbst die Taliban in Afghanistan werden verherrlicht.

Natürlich muss jeder für sich entscheiden. Wir aber wollen diese Hinweise nicht ganz ignorieren und nehmen jede Empfehlung ernst. Wir tragen unsere Infos immer zusammen und wägen für uns ganz persönlich ab. Das Auswärtige Amt ist nur eine von mehreren Informationsquellen.

Das Auswärtige Amt hat aber auch eine gewisse Verantwortung seinen Staatsbürgern gegenüber und dann lieber einmal mehr als zu wenig gewarnt! Und das ist gut so!

Schon Zuhause haben wir uns die Frage gestellt, ob diese Reise notwendig ist. Die Antwort kennt ihr!

 

Mardin steht schon lange auf unserer ToDo Liste. Aufmerksam auf die Stadt sind wir durch ein YouTube-Werbevideo geworden. "Mardin, die Perle der Osttürkei!" Diese Perle ist nun  - nach allen Abwägungen - unser nächstes Ziel.

Nachdem wir uns von Kamil, Feliz und Ahmet intensiv verabschiedet haben, Feliz uns noch ein Carepaket mit Kuchen, Nüssen und allerhand süßen Kleinigkeiten gepackt hat, fahren wir  - von der Familie hinaus aus Elazig begleitet- auf der D885 Richtung Südosten.

Paul wird von meinem lieben Mann wie ein rohes Ei behandelt, er schaltet ganz vorsichtig, bloß nicht zu viel oder zu wenig Gas geben und immer schön die Mitte finden!

Wir fahren zunächst Richtung Diyarbakır, das etwa die Hälfte der Strecke ist. Es ist heiß, die Straße staubig, unsere Köpfe glühen. Kurz vor Diyarbakır verpassen wir eine Ausfahrt, müssen drehen, es ist alles wahnsinnig anstrengend, die Hitze - es sind 40 Grad - macht uns zu schaffen... aber anscheinend nur uns! Unser Paul scheint frisch erholt zu sein. Und Paula? Sie surrt vor sich hin, kein Problem! Schön ist die Strecke nicht, vor allem der trockene, hellbraune, feine Sand weht durch unsere offenen Reißverschlüsse in jede Pore unserer Haut und die Nasenschleimhäute trocknen aus. Jaja, die Frage ist ja nicht neu: "Warum tun wir uns das an?" Alpenzufußüberquerer, Radfahrer, die kreuz und quer unter Extrembedingungen durch die Welt strampeln, Extremsportler und andere Abenteurer (nicht wahr, Klaus?) können das verstehen.

Und so extrem sind wir ja dann doch nicht!

Aber es sind mal wieder die Menschen, die alles gut machen. Egal, wo wir halten, ob an der Ampel stehen, bei Tank Stopps oder bei kurzen Trinkpausen, überall sind sie es, die Unbekannten, die uns herzlich willkommen heißen, die uns zum Cay einladen, einem eine Limo in die Hand drücken und mit einem Lächeln gleich wieder verschwunden sind, die zahllos aus den Autos winken oder mit einem "Daumen hoch" zeigen: ihr seid willkommen! All die Einladungen können wir leider nicht annehmen, sonst würden wir gar nicht vom Fleck kommen. Kaum jemand kann es fassen, dass wir es von Deutschland bis hierher geschafft haben! "Deutschland! Germany! Allemannia!" Manche schütteln fassungslos den Kopf, andere blicken uns erstaunt an! Manche wissen vielleicht gar nicht genau, wo Deutschland überhaupt liegt, aber es scheint Positives in ihnen zu wecken! Wir mögen genauso exotisch auf sie wirken wie sie auf uns! Niemand, absolut niemand ist unfreundlich oder uns gar negativ gesonnen! All das erfüllt uns mal wieder mit einer ganz großen Dankbarkeit. Dankbarkeit, dass wir so reisen können und dürfen und sie wohl nie die Gelegenheit dazu haben werden, all die Tankwarte (Selbstbedienungstankstellen wie bei uns gibt es nicht), die LKW - und Treckerfahrer, Autofahrer -  mögen sie noch so chaotische Autofahrermanieren haben - !

Tatsächlich erreichen wir Mardin ohne technische Vorkommnisse.

Das Ockerfarbene von Mardins Altstadt erkennen wir schon vom Weitem. Wir erklimmen noch den ein oder anderen Berg, die ein oder andere Gasse bis zu unserm Hotel. Kaum haben wir Paul und Paula abgestellt, steht ein Grüppchen junger Leute um uns rum. Sie kommen aus der Lüneburger Heide und sind zu Besuch bei Verwandten. "Wow, wie schön, dass es Menschen gibt, die diese bei uns unbekannte Region besuchen!" Wir halten einen kleinen Plausch mit den jungen Leuten, sie gehen, andere kommen. Wir werden meist auf deutsch angesprochen! Wir kommen kaum zum Abladen des Gepäcks! Immer wieder diese freundliche Herzlichkeit! Auch vom Geschäft gegenüber, der Bruder des Inhabers ist aus Deutschland  zu Besuch. "Kommt einfach nachher mal rüber!"

"Wir sind Kurden!" , das hören wir oft. In Mardin leben verschiedene Völker, Türken, Kurden, Araber, Aramäer. Ein Teil des Südostens der Türkei ist auch Heimat der Jesiden. Viele leben nicht mehr hier, denn von jeher litt und leidet auch dieses Volk unter Verfolgung und Vertreibung. Zu verworren und kompliziert sind die politischen Verhältnisse!

Die am Felsen angeschmiegte Altstadt blickt terrassenartig in mehreren Ebenen auf die mesopotamische Tiefebene in Richtung Syrien. Knapp 50 Kilometer sind es von hier bis Syrien und der Irak ist auch nicht fern.

Wir lassen uns durch die Altstadt treiben. Sehr quirlig ist hier das Leben. Touristen, Einwohner, Händler. Laute türkische, kurdische und/oder arabische Klänge (die wir nicht unterscheiden können) schallen durcheinander von den Restaurants, vielen Cafés und vorbeifahrenden Autos auf die menschlichen Ohren nieder. Zwischendurch schweigt die Musik, wenn der Muezzin laut über Stadt und Land ruft. 

Wie schon im Basar von Elazig wabern auch die verschiedensten Gerüche durch unsere Nasen, in den engen Nebengassen verzweigt sich ein riesiger Basar.

Wir essen auf der Terrasse eines der vielen Restaurants und blicken beim Gaumenschmaus über die mesopotamische Ebene. Wir fühlen uns wie in Tausend und einer Nacht!

Wir nehmen uns ein Taxi und wollen auf Mehmets und Kamils Empfehlung, Deyrulzafaran, ein Syrisch Orthodoxes Kloster und Dara, die antike Stadt besichtigen.

Deyrulzafaran, liegt auf einem Hügel ca. 5 Kilometer von Mardin entfernt und ist einer der wichtigsten Sitze der Syrisch Orthodoxen Christen und Pilgerort für Gläubige. Von den 14 Millionen, die auf der ganzen Welt verstreut sind, leben ca. Einhunderttausend in Deutschland.

Das antike Dara liegt ca. 30 Kilometer südöstlich von Mardin ganz nah an der syrischen Grenze und wurde vermutlich von Kaiser Anastasius im Jahr 505  erbaut und galt seit Jahrhunderten als eines der wichtigsten Handelszentren Mesopotamiens.

Wir fahren den Altstadthügel von Mardin hinunter und bevor wir auf die Hauptstraße Richtung Westen  abbiegen, führt uns eine kleine Nebenstrecke ganz verzweigt durch schmuddelige, vermüllte Dörfer. Ziegen und  Kühe kreuzen unseren Weg und auch "Schmuddelkinder" springen bei unserem Anblick winkend auf die Straße, Erwachsene blicken uns erstaunt nach und wir müssen aufpassen, niemanden - weder Kind noch Tier - umzumangeln! So unwirklich, so skurril fühlt sich alles an.

Unsere nächste Etappe führt uns in die nur knapp etwas mehr als Zweihundert Kilometer entfernte Stadt Şanlıurfa oder kurz Urfa, auch bekannt unter dem antiken Namen Edessa. Sie liegt in Nordmeseportamien und hat über Zweimillionen Einwohner. Şanlıurfa hatte das verheerende Erdbeben vom Februar 2023 erstaunlich gut überstanden, wurde aber einen Monat später von einer enormen Flutwelle, verursacht durch Starkregenfälle, heimgesucht.

Unser Hotel liegt mal wieder, um sich nicht durch das Großstadtgewühl -kämpfen zu müssen von meinem Mann perfekt ausgesucht - am Rande der Megastadt! 

Es ist früher Nachmittag als wir ankommen und wir wollen gleich nach Göbekli Tepe, einer archäologischen Ausgrabungsstätte, wo man die ersten Großbauten menschlicher Ansiedlungen gefunden hat. Die Anlage befindet sich 15 Kilometer nordöstlich auf einem 750m hohen Hügel.  

Wir steigen in das Taxi der Marke Fiat von Ali. Ali ist groß und vielleicht um die 30 Jahre jung. Sein Fiat hat, so verstehen wir - über 400.000 Kilometer runter. Sein Alter (dem des Fiats) sieht man ihm nicht an, denn er ist tipp topp gepflegt, innen wie außen. Dem Interieurs zu Folge mit roten Sitzbezügen, Aufklebern und sogar Nabendeckel am Reifen mit dem aufbäumenden Pferd, scheint er Ferrari und Porsche zu lieben.

Ali ist auch so ein Paradebeispiel der Herzlichkeit. Er scheint richtig stolz zu sein, uns "Ausländer" fahren zu dürfen.

Ich allerdings finde, er sollte lieber auf die Straße schauen als im Übersetzer die Frage zu suchen, wie es uns denn hier so gefällt. Er scheint sich aber davon nicht abbringen zu lassen und googelt munter weiter, auch meint er, uns mit einheimischer Musik unterhalten zu müssen und dreht seine Anlage, die echt was hergibt, kräftig auf, dass uns fast die Ohren abfliegen. Stolz erklärt er uns - stark gestikulierend - dass das Musik aus Urfa ist. Wir kommen tatsächlich heile in Göbekli Tepe an. An der Kasse bekommen wir einen Audio Guide und erfahren viel über die Ausgrabungsstätte und die Menschheitsgeschichte. Ali begleitet uns noch ganz übermütig durchs Museum. Und wir kommen tatsächlich auch heil wieder am Hotel an. 

Urfa beherbergt auch eine der wichtigsten Pilgerstätten des Islam: dem Abraham Teich mit den heiligen Karpfen. Der Sage zufolge wollte Nimrod Abraham verbrennen lassen, aber Gott verwandelte das Feuer in Wasser und die Holzscheite zu Karpfen. Eigentlich wollten wir das noch sehen, aber es ist schon spät und wir verzichten auf einen Besuch am Karpfenteich.

Auf der Dachterrasse des Hotels bewundern wir noch die wunderbare Mondfinsternis, die hier absolut niemanden zu interessieren scheint und fallen, wie tot in unser Bett.

Eine weitere kurze Etappe führt uns nach Gazinatep, wieder so eine Millionenstadt. Die Region in und um Gaziantep war ebenfalls vom schweren Erdbeben 2023 betroffen, auch Teile der großen Burganlage wurden zerstört. Auf der gesamten Strecke sehen wir immer mal große aufgetürmte Steinhaufen, die wohl vom Erdbeben her rühren. Ansonsten - wir wissen natürlich nicht, wie der Wiederaufbau voranschreitet - vernehmen wir, dass rundum sehr viel neu gebaut wird und ganze Satellitenstädte rund um die bereits vorhandenen Großstädte entstehen. 

Ähnlich wie Elazig haben wir ein Hotel auf einem Hügel am Rande der Stadt gebucht, auf die wir nun von unserem Zimmer herabblicken. Wir staunen immer wieder über die Größen dieser Städte, die bei uns so unbekannt sind!  

Sicher gibt es in Gaziantep auch viel zu entdecken, aber man verzeihe uns, wir wollen einfach nur mal ausruhen, Wir laufen nur einmal um den "Block" und essen im Hotel. 

Mein Mann meint, man könne Paul nun etwas mehr zumuten und die nächste Etappe führt uns in die etwas mehr als 300 Kilometer entfernte Stadt am Mittelmeer Mersin. Es ist immer noch sehr heiß, die Strecke ist immer noch und immer wieder sehr staubig. Wir müssen durch mehrere Städte - die Hauptstraße führt meist mit vielen Ampeln mitten durch. Die Geschwindigkeitsbegrenzung gilt wie in Deutschland: 50 km/h innerorts, manchmal dürfen es auch laut Beschilderung 70 km/h seine Wir passen uns dem fließenden Verkehr an, denn sonst wären wir ein absolutes Verkehrshindernis und koffern mit über 100 km/h hindurch, die meisten Autos sind noch schneller, so dass wir uns richtig lahmarschig vorkommen!

 

Da denkt man, man fährt in ein Städtchen am Mittelmeer!

Aber Mersin hat ebenfalls etwas mehr als eine Million Einwohner! Unser Hotel liegt am anderen Ende der Stadt und wir quälen uns von Ampel zu Ampel. Zum Glück geht es nur stur geradeaus, dass wir nicht aufs Navi achten müssen. Gas geben, stoppen, Gas geben, sich zwischen LKWs und Bussen drängeln und aufpassen, dass die Autos nicht auch noch - was sie sowieso tun - zu sehr drängeln. Paul hält den Stopp and Go prima aus, Paula sowieso. dann einmal links und rechts und wir haben unser Hotel erreicht. Unsere Köpfe glühen schon wieder oder immer noch! Das Meer können wir förmlich riechen, es ist nur ein/zwei Querstraßen entfernt.

Buchen wir doch immer die gleiche Preisklasse im gleichen Hotelportal! Und immer wieder ist es wie ein Lotteriespiel. Mal wie der pure Luxus, mal total runter gekommen! Diesmal haben wir mal wieder die Marke "Total runtergekommen" erwischt. Ich hatte mich so auf eine Küchenzeile gefreut, wie im Portal beschrieben. Können wir uns mal wieder ein Frühstück selbst bereiten! Aber: die Küchenschränke fasst man lieber nicht an, Generationen von Gästen vor uns haben hier wohl gekocht und nie hat jemand hier irgendeine Fläche abgewischt, auch das Putzpersonal des Hotels nicht! Alles klebt - vermutlich von altem Fett!  Ich bin wahrscheinlich seit Langem die Erste, die mit einem Lappen darüber geht, aber den Peek der Generationen mit einem Wisch nicht weg bekommt!

Den Rest der Möbel hat man vermutlich vom Sperrmüll (sofern es einen hier gibt ) geholt. Ich öffne die Schubladen, mache sie aber lieber gleich wieder zu! Im Bad und vor allem in der Dusche gibt es nicht nur starke Kalkablagerungen, das Schwarz und Blau des Schimmels versuche ich zu übersehen! Wasser kommt auch hier aus der Leitung und unsere Körper werden davon sauber!

Nein, wir beschweren uns nicht, denn die Jungs an der Rezeption sind herzallerliebst, zuvorkommend und äußerst freundlich: ein Syrer, ein vertriebener Palästinenser und ein Türke, der sogar etwas deutsch spricht, weil er einmal in Hannover gelebt hat. Sie alle strahlen uns an und falls wir noch Fragen hätten, sie sind jederzeit für uns da. "Danke, aber wir haben keine Fragen!" 

Wir halten unsere Füße ins Mittelmeer, spazieren am Strand entlang. herrlich, es ist nichts los! Wir kehren in ein Lokal in direkter Nähe des Wassers ein. Das Ambiente ist umwerfend und der Fisch köstlich! hatten wir heute irgendwelche Strapazen?

Ein halber Tag am Meer mit passendem Abschluss! Wie wir den genossen haben, könnt ihr euch sicher vorstellen!

Nach unserem selbst zubereiteten Frühstück am nächsten Morgen, dass wir in gebückter Haltung am Couchtisch (den vom Sperrmüll) einnehmen, verabschieden wir uns von den netten Jungs.

Gestern Abend erst haben wir endgültig entschieden, wie die Reise weitergehen soll und vor Allem, welche Richtung wir einschlagen werden.

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