Am Morgen ist es noch frisch auf dem Berg von unseren Vermietern in Achalziche mit dem wunderbaren Blick auf die Festung. Mit einem üppigen Frühstück im Bauch rumpeln wir wieder runter in den Ort. Ich bleibe mal wieder in einer Kurve stecken und ohne die Hilfe meines lieben Mannes wäre ich da sicher alleine nicht wieder raus gekommen.
Die 20 Kilometer bis zur Grenze auf einsamer Landstraße am Morgen sind ein kleiner Genuss. Die Ausreise am Grenzübergang Vale von Georgien ist - wie erwartet - völlig unkompliziert. Der Grenzer hält sogar ganz ungezwungen einen Plausch über Motorräder mit uns.
Auch auf türkischer Seite ist ebenfalls nichts los, ein/zwei PKWs und zwei türkische Abenteurer auf Enduros, die gerade vom Pamir Highway kommen. Wir erwarten, dass es zügig - wie sonst - abgefertigt wird! Aber nein, die Damen und Herren Grenzbeamte haben Zeit, ganz viel Zeit! Passkontrolle hier, Zoll da und wieder Passkontrolle und zu guter Letzt Passkontrolle! Eine ganze Stunde dauert es, das ist unser Langsamrekord an einer türkischen Grenze!
Gleich kurz hinter dem Checkpoint wollen wir uns mit Bargeld und Sim-Karten eindecken. Ein Wegweiser führt uns zu einem kleinen Laden, direkt hinter der Grenze. Er bietet Sim-Karten an und ein Geldautomat ist auch vorhanden. In dem kleinen, miefigen Office, bittet uns ein Verkäufer um etwas Geduld, eine Viertelstunde bis alles registriert und aktiviert ist. Wir entfliehen der stickigen Luft des Minibüros und nehmen draußen auf klebrigen Plastikstühlen unter einem Sonnenschirm Platz. Bereits morgens um zehn sind es über 30 Grad . Wir stecken unsere Beine im Staub aus und verschränken unsere Arme am Hinterkopf. Der riesige türkische rote Banner mir dem weißen Halbmond und dem fünfzackigen Stern verrät, wo wir uns jetzt befinden. Wir haben kurz Zeit, in uns zu gehen. Ich schließe meine Augen. Alles fliegt an mir vorbei: Serbien und die streikende Paula, unsere Fährfahrt, die georgische Heerstraße, der chaotische Grenzübertritt, der unbekannte, kleine Teil Russlands, und jetzt sind wir auch schon wieder in der Türkei! Ich kann meine Gedanken hängen lassen, denn die Viertelstunde SIM-Kartenkauf weitet sich aus. Eine türkische Viertelstunde ist dehnbar, äußerst flexibel und individuell anpassbar. Nach 45 Minuten fragen wir zaghaft nach, das Handzeichen des Kartenverkäufers mahnt uns zur Geduld und nach über einer Stunde, eben einer türkischen Viertelstunde, sind wir stolze Besitzer einer SIM-Karte. Eine Zweite, die wir geordert hatten, hätten sie jetzt doch nicht, es sind alle ausverkauft! Merhaba Türkiye! Was solls, wir sind online mit einer Karte!
Die Strecke nach Kars, unserem nächsten Übernachtungsort, ist ein Traum. Kaum Verkehr, mal ein Auto hier, ein LKW da, eine weite Landschaft. Es geht bergan und in lang geschwungenen Kurven klettern wir nach oben bis auf 2550 m! Entspannt fahren wir also unserem Ziel entgegen.
Kars hat ca. 90.000 Einwohner und liegt auf einer Höhe von 1700m, der Erzfeind Armenien ist nur wenige Kilometer entfernt. Oberhalb von Kars liegt die Zitadelle, die die Stadt - vor Allem bei einheimischen Touristen - bekannt gemacht hat.
Private Unterkünfte - zumindest abseits der Metropolen und großen Städte - sind schwer zu finden. Das bei uns gängige Booking.com funktioniert in der Türkei nicht und Airbnb bietet auch nur vereinzelt Apartments und Privatunterkünfte. In Kars haben wir das Glück, ein solches privates Apartment unweit des Zentrums zu buchen. Es ist etwas klein, eng und dunkel, hat aber sonst alles, was man braucht, vor Allem Privatsphäre. Wir machen uns frisch und laufen ins Stadtzentrum. Wir merken, wir sind wieder in einem anderen Land! Der Verkehr ist dicht und wuselig, die Stadt lebendig und der Muezzin ruft. Wir sind in der Türkei! Wir lassen uns treiben auf unserem kurzen Weg zur Zitadelle. Kars ist auch bekannt für den berühmten Kaşar - Käse, der aus Ziegen - und Schafsmilch gewonnen wird. Ein Käsegeschäft reiht sich an das andere, überall darf man probieren und wir nehmen ein Stück für die Brotzeit zwischendurch mit!
Beim ersten Restaurantbesuch erinnern wir uns auch gleich, wie lecker die türkische Küche ist. Wir bestellen uns Lammkoteletts, dazu gibt es Fladenbrot und Tomaten/Gurkensalat.
Gleich am nächsten Morgen fahren wir weiter auf der Regionalstraße D070 Richtung Südosten. Auch hier ist die Straße - wie die meisten Hauptverkehrsstraßen - 4 spurig und lässt sich gut fahren. Es ist wenig Verkehr und sogar die Temperatur von knapp 30 Grad lässt sich gut aushalten.
Dann entdeckt ihn Bert als Erster: "Schau mal dahinten! Schräg geradeaus!" Ich nehme im ersten Augenblick Wolken wahr, aber nein, ich sehe ihn auch: den mit 5137m höchsten Berg der Türkei, uns bekannt als der biblische Berg Ararat, auf dessen Gipfel Noah mit seiner Arche gestrandet sein soll, den Armeniern - obwohl auf türkischem Gebiet gelegen - heiligster Berg und auf türkisch heißt er Büyük Ağrı Dağı. Bei seinem Anblick - denn er kommt immer näher - können wir uns kaum auf die Straße konzentrieren. Jetzt liegt er nicht mehr im Dunst, sondern ist ganz klar zu sehen mit seinem schneebedeckten Gipfel. Wenn wir schon nicht den Elbrus gesehen haben, dann entschädigt er uns jetzt, ist er doch nur 500m niedriger.
Unser Ziel ist die kleine Stadt Doğubeyazıt am Fuße des Ararats im äußersten Osten der Türkei, 30 Kilometer von der iranischen Grenze entfernt und Ausgangspunkt für Wanderer. Vom Ortseingang bis zum Hotel sind es wenige Kilometer, aber durch den dichten Stadtverkehr geht es nur mit Stopp and Go voran. Hier hat Paul den ersten Aussetzer- Oh nein! Der Motor geht aus - einfach so - Bert startet und er läuft wieder. So geht das drei bis vier Mal bis zu unserem unser Hotel erreichen. Wir fahren mit Warnblinklicht! 200 Kilometer hat er flüssig ausgehalten und dann so was!
Aber erstmal ankommen und dann Nachdenken. Das Hotel liegt an einer belebten Innenstadtstraße und wir dürfen unsere Maschinen ins Hotel hineinfahren. Ja, ins Hotel hinein! Die Rezeption befindet sich in der ersten Etage und Paul und Paula machen es sich unten im Foyer bequem. Unser Zimmer hat einen Balkon mit direktem Blick auf den wirklich majestätisch wirkenden Berg. Kein großes anderes Gebirge, keine anderen Gipfel, außer den "nebenan" gelegenen Kleinen Ararat! Noch bevor wir uns unserer Motoradklamotten entledigen, stehen wir eine Weile wie angewurzelt und blicken auf den Gipfel. Anscheinend hat er doch wirklich eine magische Anziehungskraft.
Bei all der Bergeseuphorie haben wir gar nicht bemerkt, wie schmuddelig der Balkon und unsauber das Zimmer ist. Am Balkon, der einfach gekalkt ist, mittlerweile aber das Grau der Stadt angenommen hat, zeigen sich Risse auf dem Boden und an den Wänden, Staub vermischt sich mit ein paar Kippen. Schade, zu gerne hätten wir es uns zum Sundowner darauf gemütlich gemacht, aber auch es fehlen ebenfalls Tisch und Stühle. Das einzig Saubere in unserem Zimmer ist die Bettwäsche, die Handtücher und das Wasser, was aus der Dusche kommt. Wir wollen ja nicht pingelig sein, aber hier stimmt das Preis Leistungsverhältnis absolut nicht, wir zahlen für den phänomenalen Anblick.
Die Stadt - ich will sie nicht schlecht machen - ist wie unser Balkon, leicht angeschmuddelt, grau und mit vielen Rissen. Ein Gewusel von Menschen, Autoverkehr kreuz und quer, Händler mit Handkarren, Straßenhunde, Hupen und der Muezzin, der laut über die Stadt schallt, unbeschreibliche Gerüche, Männer sitzen entspannt beim Cay in den Gassen zwischen Unrat und spielen ihre Brettspiele. Und wir mitten drin! Wir stolpern über Müll auf holprigen Gehwegen, nehmen Gerüche auf - an jeder Ecke riecht es anders - und bahnen uns unseren Weg durch die Menschen und über die überfüllten Straßen. Die Sicht auf den gigantischen Berg ist immer wieder faszinierend.
Todmüde fallen wir in die saubere Bettwäsche. Paul und Paula sagen uns auf dem Weg dorthin in ihrer First Class Unterkunft noch Gute Nacht. Zu groß sind die Eindrücke jetzt noch über Pauls Aussetzer nachzudenken.
Paul und Paula wecken wir aus ihrem Tiefschlaf in der Hotellobby und wir schieben sie auf den Gehweg. Die Stadt ist auch schon früh auf und wir sehen zu, dass wir zügig weg kommen. Auf der breiten Ausfallstraße haben wir den Ararat im Rücken, im Rückspiegel wird er immer kleiner bis er letztendlich ganz verschwindet. Pauls Problem ignorieren wir mal wieder, er sprang ja normal an und nun surrt er vor sich hin! Wir fahren zunächst Richtung Süden ganz nah an der Iranischen Grenze entlang, genau den, den wir schon im Jahr 2021 gefahren sind. Unser Ziel ist die Stadt Tatvan. Wir passieren - wie hier in der Gegend üblich - mehrere Kontrollposten besonders an Stadteingängen, d.h. die Straße wird verengt, Militär, Polizei sind präsent und manchmal stehen gepanzerte Fahrzeuge bereit. Bei Manchen gibt es Schießscharten und Betonwände. Viele sind auch gar nicht (mehr) besetzt. Als wir zum ersten Mal in der Gegend waren, war das für uns ziemlich befremdlich, mittlerweile ist das für uns ganz normal und gehört dazu. Wir werden, wenn wir anhalten müssen stets freundlich behandelt und können nach einem kurzen Blick in unsere Pässe zügig weiterfahren. Später werden wir erfahren, dass diese Kontrollen zum Aufspüren von Kriminellen und Drogenschmugglern da sind... ???
Wir befinden uns größtenteils in Kurdengebiet.
Paul benimmt sich zunächst als wenn nichts wäre bis in Erciş, ungefähr auf halben Weg er anscheinend einfach keine Lust hat, die Stadt zu durchqueren. Kurze und heftige Aussetzer zwingen uns zu einem Stopp in der City. Mein Mann schmeißt vor lauter Wut (das macht er oft, wenn er wütend ist) seine Handschuhe auf den staubigen Bordstein. Es ist heiß, wir schwitzen, was das Zeug hält. Jetzt bin ich mal diejenige, die Ruhe bewahrt. "Wollen wir jetzt hier stehen bleiben und resignieren?" "Nein, natürlich nicht!" Nach einer kurzen Durchatmen - Pause starten wir wieder, Tatvan liegt in greifbaren 130 Kilometern Entfernung. Wir machen noch eine lange Pause an einer großen Tankstelle und tatsächlich wir schaffen es ohne weitere Vorkommnisse zum Hotel.
Tatvan liegt am Nordufer des Vansees auf 1600 m Höhe. Der Vansee ist einer größten Gebirgsseen der Welt und war 2021 bereits Ziel auf unserer großen Türkeireise. Daher ist er hier nur am Rande erwähnt. Obwohl Tatvan in Seenähe ziemlich hoch liegt, ist die Stadt stickig und die Temperatur liegt am späten Nachmittag noch über 30 Grad. Unser Hotel liegt im quirligen Zentrum. Der Mensch an der Rezeption ist entgegen der sonst so offen herzlichen Art der Menschen unfreundlich und misepetrich. Er weist uns unser Zimmer in einer äußerst barschen Art zu. Im Fahrstuhl hängt ein großes Schild: "No alcohol in Hotel". Unser Zimmer liegt im vierten Stock. Es ist genauso stickig wie die Stadt und ohne Klimaanlage und vom offenen Fenster her weht kein einziges Lüftchen. Hier haben wir leider keinen großen Berg als Entschädigung. Stimmengewirr, Straßenlärm, Hupen, Sirenen der Ambulanz, die vermutlich zu spät kommt, um Leben zu retten, weil man hier noch nie von einer Rettungsgasse gehört hat, dringt zu uns nach oben. Ein kurzer Spaziergang am verschmutzten Seeufer und wenigstens das: wir essen lecker frisch gegrilltes Hühnchenfleisch und Gemüsespieß im Hinterhof eines Lokals.
Wir schlafen schlecht im lauten, stickigen Zimmer des Hotels mit dem unfreundlichen Rezeptionisten.
Unser Sorgenkind Paul bereitet uns tatsächlich Sorgen. Wir diskutieren gleich nachdem wir die Augen auf geschlagen haben.
Unser nächstes Ziel soll die 350 Kilometer westlich gelegene Stadt Elâzığ sein. Eigentlich liegt Elazığ nicht ganz auf unserem Weg Richtung Mardin, Richtung syrische Grenze. Wer vielleicht unsere Reise 2023 verfolgt hat, weiß, dass uns damals jemand geholfen hat, als wir uns total verfahren hat. Es war Kamil, seine Frau Feliz und Sohn Ahmet. Seitdem sind wir in WhatsApp Kontakt und als wir von den Plänen unserer Reise berichteten, war ja klar: wir sollen ihn auf jeden Fall besuchen und seine Gäste sein!
Nach vielen Worten schon vorm Frühstück beim unfreundlichen Mitarbeiter ist uns klar: Das Beste - was auch immer passieren wird - wir wollen uns bis Elâzığ durchkämpfen. So unser Plan.
Dort werden wir ganz sicher Hilfe erhalten und haben jemanden Vorort an der Hand!
Wir nehmen also ein überaus schlechtes Frühstück ein, beim unfreundlichen Hotelmitarbeiter!
Noch 350 Kilometer bis Elâzığ!
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Maik und Elke (Samstag, 06 September 2025)
Liebe Sabine und Bert, dieser Bericht ist wieder sehr schön geschrieben. Ihr mit euren Quartieren. Da freuen wir uns schon auf die Videos auf YouTube. Okay bis Elazig werdet ihr es schaffen, das wissen wir ja schon. Wir bleiben dran und warten auf eine neue Episode eurer Reise. Herzliche Grüße von Maik und Elke aus Schkeuditz �
Heidrun (Samstag, 06 September 2025 18:07)
Gerade am gate (BIQ -FRA) gelesen, wunderbare Reiselektüre �