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Plattenbau, Buddhismus und noch mehr fremde Welten



Kalmückien - Region Stawropol - Nordossetien-Alanien

Immer noch weht uns der heiße Steppenwind entgegen, immer noch ist die Straße eintönig und immer noch geht es stur geradeaus. Wir halten uns strikt an die Geschwindigkeitsbegrenzung von 90 km/h. Man kann ja nie wissen, ob eine Kontrolle hinter einem kargen Gebüsch lauert! Viel Verkehr herrscht auf dem Kalmückien - Highway zwar nicht, aber wir wollen kein Risiko eingehen.

 

Als es Zeit wird, unseren Wasserhaushalt aufzufüllen, machen wir Halt an einer einsamen Tankstelle. Im spärlichen Schatten des Kassiererhäuschens steigen wir ab und im linken Spiegel Paulas (er hält übrigens bombastisch!) erkenne ich meinen hochroten Kopf. Ja, es ist anstrengend! Wir schütten viel Wasser in uns hinein und ich vertrete mir ein wenig die Füße. So in der Mitte vom Nichts komme ich mir vor wie im wilden Westen. Die Hitze flirrt über der Straße, karges Gestrüpp wird vom Wind über die ockerfarbene Wüste geweht, das Kassiererhäuschen ist der Saloon und es erklingt das Lied "Spiel mir das  Lied vom Tod". Paul und Paula, unsere Präriepferde, haben wir lässig an einer der zwei Tanksäulen fest gemacht. Ich wische mir über die eingestaubte Stirn. Es ist wohl die Hitze, die mich fantasieren lässt!... Ich kontrolliere mein Handy und verfasse eine Sprachnachricht, um zu schauen, ob irgend etwas Richtung Internet funktioniert. Da kommt auch schon mit schlaksigem Gang, zielstrebig Django auf mich zu. Django ist schmächtig, nicht besonders groß, hat pomadiertes, spärliches nach hinten gekämmtes Haar und ist in militärgrün gekleidet. Er fängt gleich an, auf mich ein zu reden. Mein Herz rutscht samt des schweren Steins tief in meine Mototorradhose, denn Django hat lässig einen Gürtel um seine dünnen Hüften gebunden und an dem Gürtel ist ein Halfter fest gemacht in dem eine Pistole steckt. Eine echte Pistole! Ja, eine echte Pistole!  Ich kneife mich heimlich in Gedanken, aber das ist jetzt keine Fantasie! Django und seine Pistole sind echt! Ich will schon meine Arme hoch reißen und mich ergeben, stecke aber sofort mein Handy ein und fuchtele zur Entschuldigung wild mit meinen Armen. Mittlerweile ist Bert herbei geeilt und beschwichtigt mit seiner tiefen Stimme. Django lässt seine Knarre im Halfter stecken, schüttelt Bert kräftig die Hand und lächelt sein breitestes Lächeln. Mit dem Handschütteln will er fast gar nicht aufhören. Er stellt sich hoch erfreut vor - seinen Namen habe ich in all der Angst vergessen -  und außer, dass er Tschetschene ist, verstehen wir nichts. Als er mit Händeschütteln und Reden fertig ist, steigt er auf sein Pferd, äh in seinen alten Lada, in dem Frau und Tochter sitzen und braust von dannen. Entwarnung! Django oder wie auch immer er hieß war wirklich und leibhaftig echt, aber in friedlicher und freundlicher Mission ... trotz Pistole! 

 Wir setzen unsere Reise fort, so weit ist es nicht mehr.

Kalmückien? Elista? ... Wo, wie oder was ist das denn?

Man kann ja auch wirklich nicht jede Region dieser Welt kennen und schon gar nicht so eine unbedeutende wie Kalmückien!

Vor vielen Jahren haben wir mal einen Bericht über das Leben in der einzigen Region in Europa, in der der Buddhismus die vorherrschende Religion ist, gesehen. Uns hat das damals so interessiert, dass wir im Jahr 2018 auf unserer Wolgareise einen Abstecher dorthin gemacht hatten. Damals waren wir so fasziniert von dieser unwirklichen Region, dass sie nun das erste große Highlight sein wird und den nördlichsten Punkt unserer ungewöhnlichen Reise markieren wird.

 

Im 17. Jahrdt. kamen die Kalmücken aus der Mongolei um sich im Steppengebiet nahe der Wolgamündung anzusiedeln. Unter Stalin im 2. Weltkrieg wurden sie der Kollaboration mit den Deutschen bezichtigt und deportiert. Nach Stalins Tod konnten sie wieder zurück kehren. Ganz Kalmückien zählt gerade mal knapp 300.000 Einwohner und die Hauptstadt Elista hat etwas über 100.000.

Unser Hotel, dass Ruslan für uns erkämpft hat, ist etwas abseits gelegen aber in einem etwas größeren Fußmarsch können wir alle Sehenswürdigkeiten erreichen.

Das Prunkstück von Elista ist die große Tempelanlage aus dem Jahr 2005. Im Innenraum befindet sich die mit 9m höchste Buddha Statue Europas. Wir setzen uns auf eine der Bänke im Innenraum, staunen und  beobachten für uns das geschehen im Inneren des Tempels, eine Art Meditation für uns.

Am Tempel wird gerade viel renoviert, große Kräne, Gerüste und eine Menge Arbeiter schaffen an dem Bauwerk, dem eine Aufhübschung sicher gut tut., denn überall bröckelt Putz und Farbe

Im Hintergrund Plattenbau, im Vordergrund Buddhatempel. Wir fühlen uns erneut und wieder in eine ganz andere, fremde Welt katapultiert. 

Kleine Pagoden und Plattenbauten der Sowjetunion prägen auch das Bild im Stadtzentrum. Die Leninstatue im Drujba-Park mit seinem Blick in die Ferne und die linke Hand in der Hosentasche wirkt etwas verloren und überfordert.

Wir setzen uns auf eine der Bänke, beobachten die Szenerie und lassen unsere Gedanken schweifen. Alles wirkt entspannt und gelassen. es ist Sonntag Abend und die Menschen flanieren im Park.

Ein kleiner Spot schlechten Gewissens meldet sich: Ein Land, dass ...

Aber solche Gedanken führen zu weit in meinem Reisebericht. Ihr kennt unsere Meinung!

 

Pagoden, Buddhatempel, Lenin , Plattenbau und wir mittendrin.

Zeit, essen zu gehen. Das Restaurant, was uns noch gut in Erinnerung ist und traditionelle kalmückische Küche anbietet, gibt es noch. Genauso wie es damals war, sieht es immer noch aus. Nur ist es ist besser besucht als damals, der Laden läuft und wir finden gerade noch einen Tisch. Die Speisekarte ist groß und die Kellnerin namens Sofia erklärt uns in einem Englisch, als wenn sie gerade von einem Schüleraustausch in England zurück ist, die Speisen. Sie empfiehlt uns wärmstens gegrillte Schafszunge. Die wäre sehr zart und deliziös. Nein danke, die Hürde, Schafszunge zu essen, ist einfach zu hoch. Aber wir nehmen gerne Kamelgulasch, das wir schon damals probiert haben. Es kommt in einem tiefen Tonteller gemischt mit Kartoffeln. Hätte ich nicht gewusst, was es ist, hätte ich gesagt, wir haben Rindhammel gegessen.

Als ich in der Nacht aufwache, stelle ich mir die Frage, warum ich nicht mutig genug war, die Schafszunge zu probieren. Ist da ein großer Unterschied zu unserem Rinderzungenragout (was ich allerdings gar nicht mag)?

Über diesen Gedanken hinweg schlafe ich schnell wieder ein, träume von Buddha, Schafszungen und Django.

Unser Zimmer im Asia Hotel mit einem Gartenzwerg vorm Eingang ist okay und sauber, die Kalmückischen Angestellten allerdings äußerst unfreundlich und sehr demotiviert bei der Arbeit, von der Rezeptionistin, der man wirklich kein einziges Lächeln raus kitzeln kann bis zur Frühstücksmamsell, die uns das bisher liebloseste Frühstück aller Reisen serviert. An Tag eins bekommen zwei glibberig gebratene Eier und zwei schwabbeligen Würstchen, an Tag zwei, zwei hart gekochte Eier mit einer Viertelscheibe altem, drögen Brot belegt mit einem fitzelchen Stück alten Käse. Eine Kalmückin ohne jeglicher Mimik knallt uns das Ganze ebenfalls lieblos auf den Tisch.

Nach zwei Tagen sind unsere Seelen prall gefüllt mit Eindrücken und Gedanken. Es ist Zeit, sich wieder von Kalmückien, den Kalmücken und der Steppe zu verabschieden. Wieder der Steppenwind, eine Trinkpause an einer Tankstelle ohne Django, Hitze und Staub.

Nebenbei bemerkt mein lieber Mann, dass Paul sich immer mal wieder "verschluckt", kein Gas annimmt und während der Fahrt einfach ausgeht, dann doch wieder startet und normal weiter fährt. Nebenbei...

Wir fahren weiter Richtung des Hotels, was uns Ruslan gebucht hat, in einem Ortes namens Inosemzewo nördlich der Stadt Pjiatigorsk in der Region Stawrolpol.

In der kleinen Stadt Alexandrowskoje, ca. 70 Kilometer vor unserem Ziel hat Paul auf einmal einen Ganzaussetzer, dass wir rechts ran fahren müssen. Mir steht sofort ein großes "P" auf meiner schon wieder verstaubten Stirn!

Ziehen wir wirklich immer das Unglück auf uns? Vor zwei Jahren Sally, dann auf dieser Reise erst Paula und jetzt Paul! Glaubt uns das überhaupt jemand? Fürs Kneifen ist gerade kein Platz in meinen Gedanken, es ist alles real! Auch Bert steht verschwitzt neben mir und starrt mich mit entsetztem Blick kopfschüttelnd an.  Wir blicken uns um. Wir stehen auf einem Parkplatz vor einem Supermarkt. Wir zücken unsere Handys. Kein Internet, kein Telefon, keinen Kontakt zur Außenwelt! Gerade jetzt! Völlig hilflos stehen wir bedröppelt da! 

Lacht ihr nur! "Geschieht euch Recht", sagt vielleicht der ein oder andere, "ihr habt es doch so gewollt!" Nein, so gewollt haben wir es nicht. Wer will schon mit einer Panne liegen bleiben? Uns war von Anfang an bewusst, auf was wir uns einlassen! Eingeplant haben wir solche Pannen natürlich nicht!

Aber all die Gedanken helfen uns im Moment nicht weiter!

Mein Mann grübelt und grübelt! Benzinpumpe? Schlechter Sprit? Dreck irgendwo, der die Benzinzufuhr hemmt? Auf diesem Parkplatz vorm Supermarkt in Alexandrowskoje eilen sofort nette Menschen herbei. Ein junges Mädchen spricht etwas Englisch, ein junger Mann telefoniert und könnte einen Mechaniker holen, ein anderer steht mit seinem Übersetzer zur Seite!

Bert startet neu und Paul läuft... einwandfrei... hhhhmmm ? - wir wollen also weiter. Danke an Alle! Mit einem schlechten Bauchgefühl, dass diese Situation immer wieder auftreten könnte, fahren wir los und erreichen tatsächlich ohne weitere Vorkommnisse unser Hotel.

Dieser Vorfall gibt natürlich doch Anlass zum Nachdenken! Was wäre wenn? Was wäre wenn wir tatsächlich nicht mehr weiter könnten? ... Wir haben -wie immer - Glück !!!

Eigentlich wollten wir nach Pjiatigorsk einen Abstecher Richtung Elbrus, mit 5642m dem höchsten Berg des Kaukasus` und dem höchsten Berg Russlands machen! Einmal nur einen Blick von der Ferne drauf werfen, so war unser Traum!  Oder vielleicht einmal Grosny, die Hauptstadt Tschetscheniens erkunden.

Obwohl Paul wieder gut läuft, wiegt aber der Stein auf unseren Herzen doch so schwer, ist die Nervosität so hoch, dass wir lieber auf direktem Weg wieder Richtung Grenze fahren. Von  Inosemzewo begeben wir uns also wieder Richtung Wladikawkas, passieren wieder die Checkpoints zu Karbadino-Balkarien und Nordossetien-Alanien. Selbst die Grenzer neugierig und freundlich.

Wir kehren noch einmal bei der blauen Lady ein, die heute keinen Dienst hat, aber dafür begrüßt uns diesmal äußerst freundlich eine pink Lady. Jung, dürr und mit langem tief schwarz gefärbten Haar. Wir buchen gleich zwei Nächte, denn Morgen soll ein Regengebiet durchziehen. Diese Grenze bei schlechtem Wetter? Oje! Nein Danke!

Entspannung bei all diesen Anspannungen zu finden, fällt uns nicht leicht. Wir warten den Regen ab und  gehen ein wenig Spazieren. Es sind nur noch 30 Kilometer bis Georgien.

Nebenbei kämpfen wir mit kleinen und großen Schwierigkeiten, die die verhängten Sanktionen mit sich bringen. Die SIM Karte von der offiziellen - Office - Dame funktioniert in der Tat nicht, absolut gar nicht! So haben wir, allerdings sehr ungern, dem russischen Staat umgerechnet 10,- Euro geschenkt. Internet bekommen wir abends im Hotel, sofern es manchmal bis gar nicht oder auch selten ganz bis super funktioniert. Die üblichen Seiten der Social Medias - haben wir ja mit gerechnet - sind gesperrt. Erstaunlicher Weise funktioniert sehr häufig WhatsApp und wir können wenigstens Kontakt zu Familie und Freunden halten.

Das Bargeldbesorgen bzw, das Aufspüren von Banken gestaltet sich ebenfalls als äußerst schwierig. Entweder sind diese geschlossen oder befinden sich nicht an dem Ort, wo sie sein sollten. Das kostet viel Zeit, sehr viel Zeit! Aber irgendwie schaffen wir es dann doch immer, genügend "flüssiges money"  dabei zu haben.

Bis zur Ausreise müssen wir dann doch mangels offener Banken mit unseren Rubel haushalten. Wir können nicht mehr essen gehen. Ein Restaurantbesuch bei Svetlana ist also nicht mehr drin. Wir decken uns für unsere letzten umgerechnet 10 Euro mit Käse und Wurst, ein paar Tomaten und Dosenbier ein und verpflegen uns also selbst. Wir okkupieren einen Außentisch für die nächsten 2 Tage, lassen das Regengebiet vorbei ziehen und machen uns gestärkt auf, auf die letzten 30 Kilometer Russland! 

Schon vor der Abfahrt haben wir gemutmaßt, dass sich in Elista, fernab vom europäischen Geschehen und der "Spezialoperation" wohl nicht viel verändert haben wird. Die Menschen, wie bereits vor 7 Jahren ihr buddhistisches, alltägliches Leben leben, zur Arbeit gehen und die alltäglichen Dinge verrichten, die sie schon immer getan haben. 

Wie auch in jedem Ort, den wir bisher in den letzten Tagen besucht haben, scheinen die Menschen ihren Weg so wie immer zu gehen und meistern ihr Leben wie eh und je. Die Ukraine ist fern und man nimmt wahrscheinlich alles so hin, was man ihnen in den staatlichen Medien so präsentiert. Wir erfahren überall Freundlichkeit. Niemand ist uns böse gesonnen. Wir werden eher neugierig beäugt und meistens begegnet man uns mit einer offenen, wohl wollenden Art. Man bestaunt die Aufkleber auf meinen Koffern. Ob wir da überall schon einmal waren? Wir erfahren Respekt und immer wieder Hilfe, wenn wir mal wieder nicht weiter wissen. Natürlich vermeiden wir es über die aktuelle politische Weltlage und die Rolle Russlands zu sprechen. Nur einmal an einer Tankstelle sagt ein junger Mann ganz laut und deutlich: "Russia bad, Germany good!"

All diese so unbekannten Teilrepubliken und Gegenden fühlen sich nicht wirklich russisch an. Sie sind es wohl auch nicht, aber die weiß/blau/rote Fahne weht über allen!

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Kommentare: 7
  • #1

    Sabine (Sonntag, 24 August 2025 20:08)

    Ihr lasst nichts aus! Hoffentlich verläuft der Rest der Reise ruhiger! Gut, dass ihr den Weg zur Grenze eingeschlagen habt!!! Viele liebe Grüße! Sabine

  • #2

    Angelika (Montag, 25 August 2025 08:09)

    Guten Morgen ihr beiden,
    das ist Abenteuer,aber auch Anspannung pur .Kann mich nur anschließen und euch wünschen,dass eure Reise langsam ruhiger und entspannter wird!!
    Liebe Grüße
    Angelika

  • #3

    heidrun (Montag, 25 August 2025 08:58)

    Bin froh, dass ihr wieder beim „Würmchenbier“ seid …
    ;-)

  • #4

    Tine (Montag, 25 August 2025 09:18)

    Freue mich das doch alles gut geklappt , weiterhin eine gute Reise....

  • #5

    Gabi Stets (Dienstag, 26 August 2025 10:39)

    Toller Bericht.
    Kommt wieder heile zurück.
    Weiterhin viel Spaß und eine gute Fahrt

  • #6

    Christian Hammann (Mittwoch, 27 August 2025 10:09)

    Von Schafszunge bis Pauls Ausfällen: Gänsehaut.. Nerven wie Drahtseile. haltet durch und kommt wieder gut weiter voran....Umarmung euer Chrischaaan

  • #7

    Maik und Elke (Mittwoch, 27 August 2025 11:14)

    Liebe Sabine und Bert, wir freuen uns das ihr das Abenteuer Russland gemeistert habt. Und es ist alles gut gegangen. Mal sehen wo es euch noch hin treibt. Wir sind gespannt. Hoffentlich macht jetzt Berts Paul nicht schlapp. Gute Weiterfahrt wünschen Elke und Maik aus Schkeuditz