Der Gedanke : "Noch 40 Kilometer bis Russland!", weckt mich am frühen Morgen des 14.08.2025. Oder war es nur ein Traum? Nein, kein Traum!
Ich bin so was von aufgeregt! Etwas später schlägt auch mein Mann die Augen auf. Auch bei ihm nehme ich sofort eine leichte Nervosität wahr. Erstmal Ein und Ausatmen!... Ganz ruhig bleiben und eine Tasse Kaffee aufbrühen (wir haben ja unsere Reisekaffeemaschine dabei) und das Kaukasus-Panorama vom Bett aus genießen. Eigentlich wollten wir früh los, entscheiden uns aber, das gute Hotelfrühstück einzunehmen. Mit nüchternem Magen fährt es sich nämlich nicht gut. Der Tag wird sicher anstrengend!
Punkt neun stehen wir am gerade eröffneten Buffet. Wir sind die einzigen westeuropäischen Gäste, ansonsten ist das Hotel voll mit Gästen aus Saudi Arabien. In meiner Motorradkluft fühle ich mich etwas fehl am Platze unter den vielen schwarzen Niqabs (der Vollverschleierung mit Sehschlitz von Frauen moslemischen Glaubens). Es gibt aber kein Gedrängel und ich picke mir die kleinen Leckereien, die ich vor lauter Aufregung gar nicht so richtig genießen kann. Noch einen starken Kaffee und mein Herz schlägt noch schneller.
Wir lassen das Hotel Monte in Gudauri mit festem linken Spiegel und Navihalterung hinter uns. Am Morgen ist noch nicht viel los, sodass wir diesmal tatsächlich diese unbeschreiblich gigantische Natur nicht nur wahr nehmen sondern auch genießen können. Wir fahren auf den Kreuzpass auf 2379 m, umgeben von noch höheren Bergen. Schafherden werden von ihren Hirten einen Hang runter getrieben und die vielen Kühe, die auf georgischen Straßen natürlich nicht fehlen dürfen, grasen friedlich neben der Leitplanke oder hinterlassen ganz frech ihren Darminhalt direkt auf der Straße! Und das - Kühe haben für den morgendlichen Toilettengang reichlich Ruhe - verursacht so manch einen kleinen Stau und die sonst so hektischen georgischen Autofahrer warten geduldig!
Das bekannte Wahrzeichen, das Georgisch/Sowjetische Freundschaftsdenkmal mit seinem Mosaikrelief von 1983 kurz vor dem Kreuzpass, das wir haben bereits auf unserer Reise 2018 gesehen haben, lassen wir also links liegen. Bereits am Morgen stehen dort schon viele Busse, eben ein Muss für jeden Touristen.
Die Heerstraße ist nicht gerade bekannt für besten Straßenbau- und Straßenerneurung. Kurz vor Stepansminda wird sie auch immer schlaglöchriger und der Verkehr etwas dichter. Der kleine Touristenort Stepansminda ist Ausgangspunkt für viele Wanderer. Er liegt am Fuß des 5047 hohen Berges Kazbeg. Jetzt sind es nur noch ca 12 km bis zur Grenze. Wir durchfahren die bekannte Darialischlucht Richtung Georgisch/Russische Grenze. Nach dem blöden Umfaller hat Bert bemerkt, dass Pauls Abblendlicht nicht mehr funktioniert. Wir denken an die Tunnel, die wir noch passieren müssen. Mein lieber Mann weiß schnell Abhilfe und baut die Birne vom Fernlicht aus und tauscht sie. Der erste Tunnel ist über 2 km lang und ist sogar beleuchtet, der zweite aber, zum Glück nicht so lang, ist zwar befestigt aber komplett unbeleuchtet. Er schluckt uns und zieht uns in seine schwarze Dunkelheit. Bevor meine Augen sich an das Schwarze gewöhnt haben, bekommen sie auch schon wieder Licht. Wir nähern uns dem Georgischen Grenzposten. Immer näher rückt das eigentlich Unmögliche: Unsere Einreise ins Russische Reich.
Der Grenzübergang Verkhnii Lars auf der georgischen Heerstraße ist der einzige Grenzübergang im gesamten Kaukasus. Ein Nadelöhr, durch dass sich alle quälen müssen. Wer von hier nach da oder von da nach hier will MUSS diesen Übergang benutzen!
Die georgische Ausreise verlief bisher immer problemlos! Diesmal kostet es uns etwas Zeit. Wir müssen rechts ran fahren und unsere Einreise in Batumi mit Personalausweis wird hinterfragt. Die sonst so wichtige Haftpflichtversicherung allerdings will niemand sehen! Da denkt man, man hat so viel Reiseerfahrung und dann ist alles jedes Mal ganz anders! Nach ein paar Minuten lässt man auch uns ziehen! Von dem georgischen Checkpoint zum Russischen sind es noch gut 2 km Niemandsland, vielleicht ein paar mehr oder ein paar weniger !
Der Kloss im Hals und der Stein auf dem Herzen machen sich wieder bemerkbar. Jetzt gibt es kein Zurück mehr! Unbeschreiblich ist dieses Gefühl! PKW an PKW , LKW an LKW, Bus an Bus drängeln sich auf vier Fahrspuren bis ein Haarnadelöhr entsteht und sich alle wieder auf eine Spur quetschen. Dann kommen die berüchtigten Tunnel. In meiner Erinnerung ist es nur einer, aber es sind tatsächlich Zwei. Im Kriechtempo geht es nun da durch, Kupplung, Gas, Kupplung. Die Tunnel sind zwar nicht unbefestigt, aber in dem alten Asphalt tun sich einige, teils große Schlaglöcher auf. Kein Wunder, denn täglich quälen sich hier zig teils sehr schwere Laster durch. Diese Tunnel sind also weder beleuchtet noch belüftet! Bevor ich verunfalle oder einen Herzinfarkt erleide, sterbe ich an Kohlenmonoxid Vergiftung! Hinzu kommt ein übler Uringeruch. Es beißt richtig in der Nase. Im Lichtkegel sehe ich den vielen Müll neben der Spur und es gibt tatsächlich Fußgänger!
Immer noch befinden wir uns im Niemandsland. Nachdem wir die Tunnel überlebt haben, ist nun der russische Checkpoint in greifbarer Nähe. Der Fluss Terek neben uns, rechts und links hohe Berge. Es ist zwar nicht mächtig heiß - wir sind nur noch knapp über 1000m hoch - ins Schwitzen kommen wir aber trotzdem, denn die Sonne sticht ganz schön hier in den Kaukasischen Bergen. Wieder ergeben sich mehrere Fahrspuren. Es geht trotzdem nicht schneller! Wir befinden uns auf einer der mittleren Fahrspuren eingepfercht zwischen georgischen und russischen Fahrzeugen und schweren Lastern. Wenn es weiter geht, dann sind es nur ein paar Meter. Und wenn dann dadurch eine kleine Lücke entsteht, weil jemand verzögert anfährt, kommen gleich von hinten ein paar Schlaumeier angeprescht, um diese Lücke zu füllen. Die, die es nicht schaffen, blockieren dann alle anderen und so manch einer muss quer stehen bleiben, Ein System gibt es nicht, jeder sieht irgendwie zu, dass er voran kommt. Wir ernten erstaunte Blicke, Manche lächeln uns zu, Manche schauen finster drein. Und Manche scheinen Mitleid mit uns zu haben und bedeuten uns, dass wir uns durchschlängeln sollen. Und so machen wir es manchem Schlaumeier gleich und versuchen jede Lücke zu erheischen, um ein/zwei Autos im Voraus zu sein. Auch wir stehen einmal quer und kommen weder vor noch zurück, dann wieder rücken wir an einem LKW vor, dessen große Räder wir mit unseren Koffern touchieren. So vergehen gut zwei Stunden bis wir endlich am ersehnten Schlagbaum stehen, hinter und neben uns zig Menschen, die ebenfalls die Seite wechseln wollen. Von der vielen Kuppelei tun mir schon sämtliche Finger weh. Mal wird die eine Spur geöffnet und eine Handvoll Fahrzeuge durchgelassen, mal eine andere. Und es ist wie an einer Supermarktkasse: man steht immer an der falschen Schlange an! Es vergeht wieder ein gefühlte Ewigkeit, bis unsere Spur dran ist: Erste Passeinsicht, dann werden wir zur eigentlichen Passkontrolle weiter geleitet. Wir müssen separat jeder an einen Schalter. Wir erwischen zwei weibliche Grenzbeamte. Bert seine scheint etwas in Plauderlaune zu sein und er wird gefragt, wohin die Reise gehen soll. Meine hingegen - blondiert, dezenter Nagellack - spricht nicht mit mir und sie verzieht auch keine Mine ihres perfekt geschminkten Gesichts. Ich werde schon nervös, denn da ist ja der ukrainische Stempel in meinem Pass! Nachdem sie akribisch alle Seiten durchgeblättert und diverse Kopien gemacht hat, sagt sie einen Satz: " Sabine, Visa!" Als ich mein Visa zücken will, winkt sie ab. Ein Blick, dass ich im Besitz eines solchen bin, reicht ihr. Nochmal ein ernster Blick in mein Gesicht, so dass sich unsere Blicke treffen. Auch ich versuche, mein ernsthaftestes Gesicht aufzusetzen. Sie schiebt endlich meinen Ausweis durch den Schlitz des Schalters. Bert am anderen Schalter und ich halten fast zeitgleich unsere gestempelten Pässe in der Hand. Weiter geht es gemeinsam zur Vorhut der Zollkontrolle. In den Reihen neben uns sehen wir ebenfalls schwitzende Menschen, wie sie ihr Gepäck aus ihren Autos wuchten müssen- auch Autos mit russischen Kennzeichen -. Die Meisten müssen alle Koffer und Taschen öffnen. Gründlich werden ihre Fahrzeuge durchsucht. Schon alleine vom Zuschauen fange ich - trotz Schattens - auch wieder an zu schwitzen. Obwohl wir darauf eingestellt sind, so eine oder ähnliche Prozedur über uns ergehen zu lassen. Mit ernsten Minen bedeutet man uns, dass wir Topcase, Tankrucksack und Seitenkoffer öffnen sollen. Gelangweilt schaut ein Zöllner oberflächlich hinein, Die großen Gepäckrollen müssen wir weder abschnallen noch müssen wir sie öffnen! Er nickt kurz und dann dürfen wir weiter zum nächsten Schalter! Das Ganze dauert keine 10 Minuten. Das haben wir wirklich so nicht erwartet. Tja, wir freuen uns mal wieder zu früh, denn wir sind ja noch nicht durch. Die Formulare fehlen ja noch. An ein zugehängtes Fenster müssen wir klopfen, welches sich kurz und einen Spalt breit geöffnet und wo man uns wortlos jeweils 3 DIN-A4 Bögen aushändigt. Sie sehen etwas anders als vor ein paar Jahren, aber immerhin sind sie auf Englisch. So machen wir uns an einem Steinvorsprung ans Werk. Halb hockend, so gut und gewissenhaft wie möglich füllen wir Zeile um Zeile, Bogen um Bogen Vorder -und Rückseite aus. Mit den Worten: "Das ist doch bestimmt nicht richtig!" stellen wir uns in die Reihe. Die georgische Familie vor uns bekommt neue Zettel ausgehändigt und achselzuckend machen sie sich erneut ans Ausfüllen. Unsere Formulare werden von einem großen, schlanken Glatzköpfigen entgegen genommen und schon beim ersten Drüberschauen bemerkt er diverse Fehler, erklärt aber freundlicherweise, was zu ändern ist. Ich verbessere schnell, aber mein Verbessertes nimmt er erst gar nicht entgegen. Wir bekommen neue Vordrucke. Also auf ein Neues! Jetzt mit absoluter Schönschrift! Mist, beim zweiten Formular verschreiben wir uns Beide, sorgfältig verbessern wir. Wieder klopfen, wieder warten, wieder grimmiger Blick des Zollbeamten, Wieder meckert er uns mit seiner tiefen Stimme an. Ich sage äußerst höflich und lang gezogen: "Soooorrrry!". Er blafft nur "No sorry!" zurück, reicht neue Formulare raus und knallt das Fenster zu! Der georgischen Familie geht es ähnlich. Jetzt bloß keinen Fehler mehr machen! Meine Passnummer und die 17-stellige Fahrgestellnummer von Paula kann ich schon fast auswendig!
Während wir so warten und warten - ich glaube, dass ist ein gutes Zeichen - machen wir uns Gedanken über die ganze Papierverschwendung. Nicht nur, dass eine Menge falsch ausgefüllter Papiere im Müll landet
(und hier trennt man bestimmt nicht) sondern Millionen und Abermillionen Formulare in irgendwelchen Katakomben lagern. Oder werden sie irgendwann vernichtet? Wahrscheinlich schaut da niemals irgend jemand wieder drauf! Kein Wunder, dass halb Sibirien abgeholzt werden muss! Mit dem Klacken von Stempeln werden wir aus unseren Gedanken geholt. Die zugehangene Scheibe öffnet sich und Herr Glatzkopf reicht uns die Papiere und ehe wir nur ein Wort sagen können, ist das Fenster auch schon wieder zugeknallt. Ach, so Grenz- und Zollbeamte an Grenzen sind schon eine Spezies für sich! Aber ehe ich mich über sie auslasse, ziehen wir lieber unsere Jacken an und setzen unsere Helme auf. Eine letzte Hürde noch: den Zettel, dass alle Dokumente in Ordnung sind, geben wir beim letzten Posten ab!
Langsam rollen an einem letzten Kontrollhäuschen vorbei, passieren den letzten Schlagbaum und rollen über die letzte Bodenwelle.
Nach geschlagenen 6 Stunden (wir sind glücklich, es hätte auch alles länger dauern können!) stehen wir nun in mitten hoher Berge, unter der russischen Flagge. Aber irgendwie sind wir gar nicht richtig in Russland. Wir befinden uns in Nordossetien-Alanien.
Wir werden erfahren, es kommt eben immer anders als man denkt!
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heidrun (Montag, 18 August 2025 05:34)
yeah…ihr habt es wirklich geschafft - Wahnsinn :-)
heidrun (Montag, 18 August 2025 05:43)
Übrigens hier etwas unnützes Wissen :
Schach ist der Nationalsport der Kalmücken….
Klaus (Montag, 18 August 2025 06:42)
Herrlich geschrieben, ich habe schon auf den Bericht gewartet