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Unsere kleine Kreuzfahrt


Nachdem wir uns im Büro der Fähragentur angemeldet und einige Formalitäten erledigt haben, sind wir ab jetzt Gefangene des Hafens. Wir dürfen das Gelände nun nicht mehr verlassen und letztendlich werden mehr als 6 Stunden Wartezeit zusammen kommen.

Gegenüber der Agentur gibt es eine Hafenkneipe, genau so wie man sich eine echte Hafenkneipe nur vorstellen kann. Und die hat sogar einen ganz besonderen Luxus: einen "Biergarten"! Die Außentische stehen etwas wackelig kreuz und quer, aber wunderbar unter Bäumen im Schatten. Der Kneipier in der Self-Service-Hafenkneipe ist etwas brummelig - aber wir merken das sofort - unter dieser Fassade verbirgt sich ein weicher Kern. Und nach dem 10ten Lächeln unsererseits kommt ein zaghaftes Lächeln zurück. Seinen gezüchteten Bauch versteckt er unter einem verfleckten grauen T-Shirt. Er rümpft seine knubbelige Nase und wir hoffen, dass er verstanden hat, was wir bestellt haben. Ja, hat er. Unser Omelett (das ist so ein Wort, was man in jeder Sprache versteht) wird frisch zubereitet. Wir schauen uns um und mit unserem Tablett in der Hand ergattern wir den letzten freien Tisch. Er liegt wunderbar im Schatten eines großen Baumes. Von den Nachbartischen schallt es zu uns rüber: Lallende Wortfetzen und kräftige, tiefe Männerstimmen. Mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich um LKW-Fahrer, so denken wir, die ebenfalls Passagiere der Fähre sein werden. Ihre Trucks stehen dicht an dicht auf dem Parkplatz gegenüber. Die Tische quillen über mit Wodka- und Bierflaschen, abgegessenen Teller und Aschenbechern, die kaum Platz für die nächste Kippe haben. Wir wirken wie kleine Exoten zwischen den meist übergewichtigen Kolossen von Truckern.

Unser Omelett ist mit einer Käsefüllung frisch zubereitet, dazu gibt es reife, aromatische Tomaten. Im Trubel machen wir noch eine Einzelperson aus, die sich schnell zu uns gesellt. Es ist die Britin Denise. Mit einem kleinen Plausch über wie, woher und wohin vertreiben wir uns die Zeit. She is very british und reist alleine mit dem Zug quer durch Europa und nun nach Georgien. Nur ein hellblauer Rollenkoffer ist ihr Begleiter. Sie mag vielleicht etwas jünger als wir sein, ist ihres Zeichens Yogalehrerin, hat schon in Indien gelebt und  kann folgende deutsche Sätze, bzw. Worte: "Wo ist nächste Bushaltestelle?... Da drüben... rechts, links". So vergeht Stunde um Stunde und unsere kleine Gruppe wird im Laufe des Nachmittags größer: ein junger, großer Franzose. Hugo aus Bayonne im französischen Baskenland besucht Freunde in Georgien und will nebenbei seine Doktorarbeit fertig stellen. So wie wir sein Englisch mit dem typischen französischen Akzent verstehen, handelt es sich um irgendwas über Geopolitik, Energie und Kryptowährung... oder so ähnlich... Vielleicht ist aber auch nur unser Englisch zu schlecht. Dann sind da noch die 2 quirligen, sympathischen Österreicherinnen, Annett und Eilleen, Backpackerinnen aus Wien. Für die Reise haben sie sich - wie wir - 8 Wochen Zeit genommen und wollen erstmal kreuz und quer durch Georgien tingeln und später vielleicht nach Armenien reisen.

Es ist schon fast dunkel als wir auf die Fähre gelassen werden. Pass- und Zollkontrolle ist schnell erledigt, alles ist ziemlich gut von der Fährfirma organisiert. Dann geht es mit Schwung in den Bauch der Fähre. Vor uns ist noch ein Motorradfahrendes Paar mit 2 Enduros aus Deutschland. Das Verzurren der Maschinen erledigen die Hafenarbeiter und wir erklimmen mit unseren schweren Packtaschen zig Stufen. (Wie war das nochmal?: "Das nächste Mal nehmen wir aber weniger Gepäck mit!" Das schwöre ich mir seit Jahren). Die Gänge sind eng, heiß und stickig, wir haben ja noch unsere Kombis an. Nur noch wenige Minuten bis wir uns der dicken Klamotten entledigen können!

Wir haben uns vorab den Luxus gegen Aufpreis einer 4-Bett- Kabine gegönnt, die wir nun zu zweit bewohnen. Abendessen gibt es leider nicht. Unser Omelett vom Mittag ist längst verdaut und die Lücke in unserem Magen füllen wir mit einer Tüte Chips und Dosenbier von der Bar! So stehen wir mit unserer Dose an der Reling vom Deck, das vielleicht nicht größer wie 60/70 qm misst, erinnern uns an unsere Überfahrt von 2018 in entgegen gesetzter Richtung mit der gleichen Linie, schauen in den Nachthimmel und beobachten die LKWS, die haarscharf und Millimeter genau in die ihnen zugewiesenen Parkbuchten rangieren. Das sind doch nicht etwa die stark alkoholisierten Kerle von der Hafenkneipe? Wir sehen Kennzeichen aus Kasachstan, der Türkei, Georgien, Belarus und  Bulgarien. LKW um LKW fährt einzeln und teils rückwärts die Rampe hoch. Und diese Prozedur dauert und dauert. Es ist kurz vor Mitternacht als wir einfach hundemüde in unsere Kojen fallen, noch längst nicht sind alle Fahrzeuge geladen.

Es ist halb Drei als ich von einem leichten Ruck und sanftem Schaukeln wach werde. Wir legen ab! 2 Tage, 3 Nächte werden wir nun ziemlich nah an der türkischen Küste entlang schippern. Punkt Acht am Morgen hat sich schon eine lange Schlange von LKW-Fahrern gebildet, die sich an dem kleinen Buffet drängeln und die Teller voll schaufeln. Es gibt das typische Weißbrot, Butter, Aprikosenmarmelade, Salami, Käseaufschnitt und hart gekochte Eier und sogar Kaffee. Zum Glück sehen wir keinen der Trunkenbolde von der Hafenkneipe, wir nehmen unsere Verdächtigungen also gerne zurück. Viele der Herren Brummifahrer aber sind allerdings auch keine Unschuldsengel, denn Bier und Wein und so manch eine Wodkaflasche geht allabendlich über die Tische.

Mittlerweile ist unser Grüppchen noch mehr gewachsen: Die beiden Endurofahrer - M. und St. - beide Mitte Dreißig aus Baden Württemberg nehmen sich ein Jahr Auszeit, um ihr Ziel Kirgisistan zu errreichen oder gar noch. Dann ist da noch Stefan aus Ulm, Geschäftsführer eines kleinen mittelständischen Unternehmen, der in nur 3 Wochen mit seinem Hummer (US-amerikanischer Geländewagen von General Motors, der schon lange nicht mehr gebaut wird) von Georgien aus bis nach Wolgograd fahren möchte und Veit, 27 aus Nürnberg, der mit seinem Fahrrad irgendwie ans Kaspische Meer gelangen will. Veit hat auf seinem Fahrrad eine Riesenwassermelone transportiert und mit an Bord gebracht. So treffen wir uns jeden Nachmittag zum Melonenessen in der Kantine. Wir tauschen Reiseerfahrungen aus, sprechen über geschlossene Grenzen, wie man am besten von A nach B kommt und so entsteht manch eine Diskussion.

Da die bereits in die Jahre gekommene Fähre nicht besonders groß ist, läuft man sich sowieso ständig über den Weg. Da ist noch die rumänische Familie mit 2 Kindern und der sympathische bulgarische LKW Fahrer, namens Stefan. er hat uns gleich erkannt, fällt uns fast in den Arm mit den Worten: "BMW blue", zeigt auf Bert, "BMW red" und zeigt auf mich. Wir können nur ahnungslos nicken und mit den Schultern zucken. Er bedeutet, dass er uns gestern an einer Tankstelle im Balkangebirge gesehen hat. Er überhäuft uns mit fast peinlichen Sätzen wie: "You are my heros!", " Ohhhs " und "Ahhhs". Wenn er Haare auf dem Kopf hätte, würde er sich diese raufen, aber er trägt Glatze. Er reckt die Arme in die Luft und von diesem Augenblick an werden wir immer, wenn wir uns begegnen freundlich mit einem breiten Lächeln und einem netten Worten begrüßt.

Die Kantine gleicht einem Speisesaal aus den Siebzigern des letzten Jahrhunderts, sie ist nicht besonders groß und zu Stoßzeiten der Essensausgabe, muss man schnell sein, um einen Sitzplatz zu erhaschen. Aber jeder findet einen Platz, niemand muss im Stehen essen. Das Essen ist sehr lieblos zubereitet, ist nicht besonders schmackhaft, aber es ist mittags wie abends warm, mal Bouletten mit Pommes, mal Hühnchen mit Reis.

Einen Raucherraum mit Fernsehen gibt es auch noch, um den man am besten einen großen Bogen macht, denn die Luft darin kann man schneiden!

Wenn man frische Seeluft schnuppern will, begibt man sich auf das Deck. Wir haben Glück, es ist warm, manchmal sehr warm und es gibt kaum Schattenplätze, daher taufen wir es Sonnendeck. Die 4 blauen verschraubten Bänke stehen quer zur Fahrtrichtung, dann gibt es noch 2 Stehtische. Das muss für die 90 Passagiere reichen! Aber irgendwie verläuft es sich doch und man hat nie den Eindruck, dass es hier an Deck eng wird. Die Zeit vertreiben wir uns mit aufs Meer gucken und entdecken sogar einige, nein, ganz viele Delphine, die mal hier, mal da aus dem Wasser springen.

Mein lieber Mann fragt den "Chefschiffsbegleiter"- also sozusagen den Purser des Schiffs - ob wir nicht einmal einen kurzen Blick auf die Brücke haben könnten! "Natürlich, gerne"! Ein paar Stufen hoch und unter dem Radar betreten wir das Gebiet, was uns sicher nach Batumi navigiert. Wie in einem großen Cockpit blickt man auf alle Instrumente und der dritte Offizier beantwortet gerne unsere Fragen. Man bekommt von hier oben einen noch erhabeneren blick auf die offenen See! Ein wahres Highlight dieser Fahrt.

Irgendwie geht die Zeit doch ziemlich schnell zu Ende. Den letzten Abend verbringen wir an Deck, reden mal hier, mal da, schauen in den Nachthimmel oder auf das schwarz glitzernde Schwarze Meer. Noch eine Nacht, ein Frühstück und dann herrscht unruhiges, geschäftiges Treiben. Alle streben auseinander packen ihre sieben Sachen zusammen. Wir stehen an der Reling und warten, dass unsere Drjusba-Fähre anlegt. Ein Schlepper  kommt und wir haben einen grandiosen Blick auf Batumi, dem Las Vegas Georgiens. Es dauert noch eine ganze Stunde bis  die Passport-Control an Bord kommt und eine Weitere bis wir dran sind. Die Pässe werden gecheckt, Personalien aufgenommen, das übliche Grenzfoto wird gemacht und dann dürfen wir von Bord. Wir drängeln mit unserem fetten Gepäck in den engen Gängen an den zur Passkontrolle anstehenden LKW Fahrern vorbei. Sie verabschieden uns mit "Bye-bye" und "have a nice trip!".

Jedem Einzelnen aus unserer Gruppe wünschen alles Gute: "Möge eure Reise so werden, wie ihr es euch vorstellt! Tschüss!"  Dann streben alle auseinander und jeder geht wieder seinen eigenen Weg! 

Um Paul und Paula zu erreichen, müssen wir in den Bauch des Schiffes gelangen. Wir nehmen den falschen Ausgang und irren mit unseren Taschen in der dicken Hose und den dicken Stiefeln umher. Treppen hoch, Treppen runter, landen im Maschinenraum, es riecht nach Diesel und Öl, wir sind immer falsch und irren umher. So oft habe ich hier im Blog beschrieben, wie ich schwitze... Ihr könnt euch echt nicht vorstellen, wie es sich im Bauch einer alten Fähre anfühlt, und das Alles bevor wir überhaupt los gefahren sind. Alle meine Poren haben sich wie eine Schleuse geöffnet und der Schweiß läuft ungehindert von der Stirn in die Augen, vom oberen in den unteren Rücken, von da bahnt er sich seinen Weg ungehindert in andere Gefilde, und in den Stiefeln steht er wie ein Staudamm. Was für einen Dunst wir an unsere Außenwelt abgeben... oje... ich möchte nicht in die Nähe anderer kommen!

Dann geht alles ziemlich schnell, wir dürfen das Schiff verlassen. Paula springt - trotz 3 tägiger Pause tadellos an und ein Stein fällt von meinem Herzen. Wir rumpeln die Rampe runter, nochmal Passkontrolle, dann zum Zoll, der uns einfach ohne jegliche Kontrolle durchwinkt. Die Drujba Fähre wird im Rückspiegel immer kleiner, die Erinnerung an unsere persönliche Kreuzfahrt bleibt groß! 

Wir sind gespannt auf Georgien!

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Kommentare: 2
  • #1

    Klaus (Mittwoch, 13 August 2025 09:36)

    Ich schaue ja jeden Tag ob es wieder was Neues gibt.

    Herrlich geschrieben, kenne ich diese Fähren und ihre Kantine ja gut.

  • #2

    Wolfgang (Mittwoch, 13 August 2025 10:16)

    Super Blog wieder. Bin endlich dazu gekommen, die Beiden letzten zu lesen. Schön, dass Paula wieder mit am Start ist. Bei Mechanikern muss man auch manchmal schon Glück haben. Eure Fährfahrt ist so gut beschrieben, dass man meint, man sitzt neben dran und ist mittendrin. Das suchen eines Motorrades auf der Fähre kenne ich gut, ist mir bei der Ankunft auf Island passiert. Seitdem mach ich mir immer ein Foto mit einem markanten Punkt in der Nähe :-) . Weiterhin gute Fahrt, tolle Erlebnisse und Eindrücke.