Für uns bekanntes Serbien, für uns unbekannter Kosovo
Am Morgen höre ich mal kein Geräusch, was sich nach Regen anhört. Gleich erhellt sich unser Gemüt. Wirklich kein Regen, auch kein bedeckter Himmel! Die Sonne strahlt! Wir wollen ja nicht gleich hektisch werden, aber bevor sie es sich anders überlegt und sich wieder hinter dicken Regenwolken verstecken will, wollen wir zügig aufbrechen.
So langsam spielt sich alles ein und unser Team ist nach fast einer Woche fast optimal! Jeder hat nun seinen Platz gefunden und klar definiert ist nun, wer, welche Tasche greift, wer, wann welches Gepäck aufschnallt und wer, welche Elektronik anstöpselt, Formfehler passieren nur noch selten!
2 kleine Jungs kommen angelaufen, beobachten mit großen Augen und genügend Abstand unser emsiges Treiben rund um die Motorräder und winken kräftig, als wir uns in Bewegung setzen.
Weniger als 100 km sind es bis zur serbischen Grenze. Wir fahren über Vukovar. Vukovar im äußersten Osten Kroatiens ist Sinnbild eines sinnlosen Krieges! Bis zu 8000 Granaten schlugen hier während der Belagerung 1991 täglich ein. Die Stadt wurde fast zu 100% zerstört! Wir fahren vorbei am zerschossenen Wasserturm, der stehen geblieben ist, um als Mahnmal zu dienen. Wir fahren vorbei an dem Denkmal der Opfer des Kroatienkrieges! Auch das Massaker von Vukovar fand in der Nähe statt, 250 Zivilisten und Kriegsgefangene, die in einem Krankenhaus unter gekommen waren, wurden damals hier ermordet! Über 30 Jahre ist das nun her, lange her, aber wir können uns noch gut an die Schlagzeilen von erinnern. Es fällt schwer, sich den Gedanken über diesen Krieg , die sich in mir breit machen, zu entfesseln und einfach weiter zu fahren. Aber es ist für uns tatsächlich nur ein Augenblick am Rande der Straße. Kaum habe ich diesen Augenblick zu Ende gedacht, nähern wir uns auch schon der Serbischen Grenze. Wir nehmen den Grenzübergang Torvanik/Šid und fahren an einer schier endlosen Schlange von LKWs vorbei, die die EU-Außengrenze passieren wollen. Wie lange die Männer am Rande der Landstraße wohl in ihren LKWs wohl ausharren müssen bis sie an der Reihe sind? Ein harter Job! Wir sind dankbar für das Glück, einfach so passieren zu können und in ein paar Minuten sind wir durch.
Unser Ziel ist Čačak in Zentralserbien, achtgrößte Stadt des Landes. Bevor wir diese erreichen, kraxeln wir mit Harry und Sally über serbisches Mittelgebirge bergauf, bergab, Spitzkehren inklusive. Der Himmel zieht sich hier wieder zu und aus der ein oder anderen Wolke fallen dicke, fette Regentropfen.
In Čačak stoppten wir bereits letztes Jahr und weil es gerade so schön auf der Route liegt, buchen wir genau das Gleiche Apartment mit dem verheißungsvollen Namen Grand Lux noch einmal. Letztes Jahr konnten wir es kaum fassen, so viel Luxus für so wenig Geld! Für weniger als 40,- € bekommen wir 2 Schlafzimmer in einem Neubaukomplex, alles farblich und stylisch abgestimmt, Balkon, elektrische Rollläden, Waschmaschine und einen Tiefgaragenparkplatz! Nur so ganz luxuriös ist es dieses Jahr nicht mehr. Ich muss als Hotelfachfrau gar nicht genau hinsehen, die Putzfrau hat schlampig gearbeitet! Staubflusen in den Ecken, Krümel um den Esstisch, Fettspritzer an der Küchenzeile, Wasserflecken in der Dusche und am Spiegel und so manches Interieur bereits kaputt! Mein lieber Mann verbietet mir, den Staubsauger, den ich im Schrank gefunden habe, rauszuholen mit den Worten: "Bitte, wir sind im Urlaub! Schaun wir einfach drüber hinweg!" Also, machen wir es uns auch so gemütlich, wir können uns ausbreiten und gönnen uns einen ersten "freien" Tag. Zeit, die erste Wäsche zu machen, Zeit, ein wenig in unseren Taschen aufzuräumen, Zeit, um ein wenig rum zu trödeln, Zeit, um auch seelisch und körperlich aufzutanken!
Regeneriert setzen wir unsere Reise fort. Unser nächstes Ziel ist der Kosovo. Der oder das Kosovo, ehemals zu Jugoslawien gehörend, ist kleiner als Schleswig Holstein, hat ca. 1,8 Millionen Einwohner und man zahlt hier sogar mit dem Euro. Der Kosovo liegt im Zentrum der Balkanhalbinsel und ist für uns Neuland, denn hier waren wir noch nie. Politisch gestaltet es sich mit dem Kosovo etwas schwierig. Was ich so erlese, klingt ziemlich kompliziert , aber um es kurz zusammen zu fassen: Es gab 1999 den Kosovo Krieg. 115 der 193 Staaten der Vereinten Nationen erkennen den Kosovo völkerrechtlich als unabhängigen Staat an. Für Serbien ist der Kosovo zwar autonomes Gebiet, es erkennt aber den Staat Kosovo per se nicht an. Gerade aktuell ging ein Konflikt bei uns häufig durch die Medien. Im Norden des Landes, vornehmlich von Serben bewohnt, kam es aufgrund von Unstimmigkeiten bei Bürgermeisterwahlen zu bewaffneten Auseinandersetzungen, wobei sogar K-For Soldaten verletzt wurden. Vorausgegengen waren Streitigkeiten um Autokennzeichen! Und so weiter und sofort... Ich steige nicht durch. Wie auch immer, das Auswärtige Amt warnt zur Zeit vor Reisen in den Nordkosovo. Gerade dort entlang sollte uns unsere Route führen...! Wir diskutieren, ob wir diese Warnung ignorieren oder Ernst nehmen sollten! Alternativ könnten wir einen Umweg über Montenegro nehmen. Wir entscheiden uns, dennoch über den Nordkosovo zu fahren.
Den einen Schauer, der gerade in Čačak über uns hinweg zieht, als wir los fahren wollen, warten wir noch ab. Ganz optimistisch, trotzig und demonstrativ lassen wir unsere Regensachen aus, obwohl der Himmel in die Richtung, die wir fahren müssen, nichts Gutes verheißt. Schon kurz hinter Čačak bleibt uns doch nichts anderes übrig, unsere Regenklamotten überzuziehen. Der Wettergott meint es einfach nicht gut mit uns, ein Schauer jagt den anderen! Weitere 100 km weiter südlich hinter dem serbischen Örtchen Raška stehen wir dann an der vermeintlichen für Serbien nicht existierenden Grenze. Hier dauert es doch wieder etwas länger, aber alle sind sehr freundlich. Wir beobachten, dass die Fahrer serbischer Autos die Länderkennzeichen - SRB für Serbien - überkleben müssen. Wir werden höflich gebeten, für unsere Motorräder jeweils eine Versicherung von 10,- € abzuschließen, die gleich am Häuschen nebenan zu erwerben ist. Ein hektischer Beamter knallt uns die Papiere hin und dann können wir durch und stehen unversehens im Kosovo. Wir können unsere Fahrt halbwegs trocken fortsetzen und fahren durch den besagten Serbisch bewohnten Norden. Alles scheint normal, nur überall an den Straßen hängen Serbische Flaggen und hier fahren fast ausschließlich Fahrzeuge mit zugeklebten serbischen Kennzeichen. Wir müssen nur einen größeren Polizeiposten passieren, das ist alles! Wir haben eigentlich auch nichts anderes erwartet, Bedenken oder gar Angst haben wir absolut nicht. Das Auswärtige Amt warnt immer sehr großzügig, außerdem sind wir ja nur auf der Durchreise.
Was auch immer es für Konflikte zwischen den Staaten gibt, wir hoffen für Beide auf eine friedliche Lösung.
Kurz hinter Mitrovica verschwinden die Flaggen von den Straßen und die Autokennzeichen sind "echt" kosovarisch! Bei einem Tankstopp - hier gibt es noch Tankwarte! - kommen wir mit dem netten, jungen Tankwart, der Elvis heißt, ins Gespräch. Er war gerade in Köln zu Besuch und schwärmt für die Stadt. Sein Deutsch verstehen wir gut. Diese Viertelstunde Verspätung nehmen wir gern in Kauf, denn hier zeigt sich wieder die "balkanesische" natürliche Freundlichkeit.
Unser Ziel ist die kleine Stadt Gjakova im Südwesten des Landes. Sie hat 40.000 Einwohner und wartet mit 33 Moscheen auf. Touristisch ist sie wahrscheinlich eher unbedeutend.
Vom Suchen und Finden unserer Unterkunft berichte ich mal nichts, denn wir sind mittlerweile geübt. Wir prägen uns schon mal vorab das Außenfoto des Gebäudes ein, sofern im Buchungsportal vorhanden und/oder switchen kurz vor der Ankunft um auf Google-Maps. Die meisten privaten Unterkünfte sind unbeschildert und von außen nicht erkennbar. Unser heutiges Apartment heißt "Premium Apartment" und ist tatsächlich Premium und der pure Glücksgriff. Es befindet sich wie in Osijek und Čačak in einem - auch wie bei uns oft zu sehen - typisch, quadratisch grau/weißen Neubau. Parkplatz vor der Tür, Fahrstuhl, und alles ist sehr geschmackvoll eingerichtet. Was wollen wir mehr? Es hat sogar einen großen überdachten Balkon, der zum Stadtflüsschen namens Krena zeigt. Wir sind zwar spät, haben aber dennoch Zeit für einen kurzen Spaziergang, bis es sogleich wieder anfängt zu nieseln! Weil wir bei diesem Sauwetter nicht lange suchen wollen, kehren wir ein in ein kleines, hippes Restaurant, was direkt um die Ecke von unserer Unterkunft liegt. Hier gibt es , wie überall auf der Welt Burger, Pizza und Co.. Wir sitzen auf stylischen Stühlen an einem stylischen Tisch und im überdimensionalen Fernseher, auf dessen Bildschirm eine uns unbekannte, wahrscheinlich aber angesagte Sängerin - vermutlich amerikanischer Nationalität - eine perfekt einstudierte Choreographie tanzt und ihr Lied trällert. Der Greek Salad, die Chicken Wings und Pommes schmecken aber und der Kellner ist super nett! Ein Dosenbier gönnen wir uns noch zum Abschluss des anstrengenden Tages auf unserem Superbalkon und fallen dann früh auf die superweichen Kissen in unser Bett mit der perfekt farblich abgestimmten Bettwäsche. Die vielen Muezzins von den vielen Moscheen wecken uns früh. So schlürfen wir wie Zuhause einen Kaffee in dem Bett mit den superweichen Kissen und schauen auf die Krena, die langsam vor sich hin fließt. Es regnet ja gar nicht und wir frühstücken auf dem Balkon! Apropos Kaffee: Kaffeemaschinen oder Ähnliches scheint es im gesamten Gebiet östlich und südöstlich von Deutschland nicht zu geben. Wie gut, dass wir wieder unsere kleine Reisekaffeemaschine dabei haben! Ihre Dienste wissen wir sehr zu schätzen!
Die "balkanesische" Freundlichkeit habe ich vorhin ja schon erwähnt, aber hier im Kosovo scheint sie besonders ausgeprägt zu sein. Als wir wieder beim Teamaufschnallen unseres Gepäcks sind, spricht uns ein Herr, vielleicht so um die 70, auf Deutsch an, der uns gestern schon mit seinem freundlichen Nicken aufgefallen ist. Wir palavern ein wenig und er scheint seine wahre Freude daran zu haben, mit uns deutsch zu reden. Kurzerhand lädt er uns zu einem Kaffee in die nächste Bar ein. Eigentlich wollen wir ja zügig los, aber diese freundliche Einladung können wir einfach nicht ausschlagen. Er ruft noch seine Frau hinzu und so sitzen wir kurzerhand mit wild fremden Menschen an einem Tisch und erfahren einiges Privates. Er heißt Selajdin und war Beschäftigter der Jugoslawischen Botschaft in Hannover in den sechziger Jahren, später war er in Wien. Wir erfahren, das er 2 Söhne und eine Tochter hat, ein Sohn ist in Deutschland und einer in Wien geboren.
Diese Momente sind so wertvoll und diese "verlorene" halbe Stunde wollen wir auf keinen Fall missen!
Das war es dann auch schon mit unserer Stippvisite im Kosovo. Viel zu kurz war die Zeit in diesem kleinen Land! Wir kommen sicher wieder, keine Frage!
Das soll noch erwähnt sein: Dass ich Serbien und den Kosovo in einem Eintrag erwähne, hat keinen politischen Hintergrund, sondern passt nur in die zeitliche Abfolge dieses Reisetagebuchs!
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Sandra Bytyçi (Dienstag, 13 Juni 2023 05:42)
Liebe Sabine,
Es ist immer wieder schön Deine Reisebericht zu lesen. Ich fühle mich, als wäre ich dabei gewesen.
Vielen Dank für die tollen Lektüren.
Liebe Grüße und weiterhin gute Fahrt mit tollen Erlebnissen
Heidrun (Dienstag, 13 Juni 2023 08:03)
….ja Kosovo…leider wird die Welt nicht schlauer…
Aber das Wetter muss jetzt wirklich besser werden.
Liebe Grüße
Maik und Elke (Dienstag, 13 Juni 2023 15:18)
Hallo Sabine und Bert, da seid ihr trotz des regnerischen Wetters gut voran gekommen. Es liest sich wieder gut und wir sind in Gedanken dabei. Gute Fahrt und immer eine handbreit Asphalt unter den Reifen. Herzliche Grüße von Maik und Elke